: Die Aura der konzentrierten Agnes B.
■ Nur überteuerter Durchschnitt: „Carmen“-Extrakt bei der Opernwoche
Kein einziger Platz werde freibleiben, hatte Thomas Gericke, der Veranstalter der ersten Hamburger Opernwoche, versprochen. Das dem nicht so war, ließ sich bei der konzertanten Aufführung von Bizets Carmen am vergangenen Donnerstag leicht feststellen. Der zweite Rang blieb komplett gesperrt, noch wenige Augenblicke vor Beginn der Aufführung stritt man sich um die besten Plätze.
Der Abend bot eine gekürzte Fassung des populären Musikdramas. Oper als Wunschkonzert, sozusagen, schließlich war man gekommen, um Stimmen zu geniessen. „Wer sind die drei Tenöre?!“ schrie ein Besucher, nachdem Neil Shicoff (Don José) für seine Blumenarie beklatscht worden war. Oder war es „Wo sind die drei Tenöre“? Oper als Karneval, bei Kartenpreisen bis über 300 Mark will eben niemand enttäuscht nach Hause gehen, und wenn auf der Bühne teilweise nur Durchschnitt geboten wird, dann macht sich das Publikum seine Volksfeststimmung eben selbst.
Im lauten Jubel ging eine Sängerin fast ein wenig unter: Agnes Baltsa. Sie wirft sich nicht in die Brust wie ihre Kolleginnen und Kollegen, sie hält keinen hohen Ton über Gebühr. Mit ihrer eindrucksvollen Stimme gelingt ihr, der Zauberin der leisen Töne, ein faszinierendes Rollenportrait. Auch in den wenigen Dialogen überzeugt sie, und selbst wenn sie nicht singt, sondern einfach nur dasitzt, mit durchgedrücktem Rückgrat und auf ihren nächsten Einsatz wartet, ist sie voll und ganz Carmen, die Rolle, mit der sie bereits weltweit Erfolge gefeiert hatte.
Neil Shicoff hingegen, mit bewundernswert schönem Timbre ausgestattet, schluchzt sich durch seine Partie, daß man das Gefühl hat, er müsse gleich weinen. Er verläßt sich weder auf seine Rolle noch auf seine Stimme, rudert ein bißchen zu viel mit den Armen und scheut sich nicht, seine Duettpartnerin zu küssen oder zu würgen. Das Publikum liebt ihn jedenfalls, und mit jedem langen hohen Ton liebt es ihn ein bißchen mehr.
Die restlichen Sänger waren solide wie Cheyne Davidson als Escamillo bis enttäuschend wie Finnuala McCarthy, die als Micaela nicht immer die richtigen Töne traf. Lisa Larsson und Friederike Krum als Frasquita und Mercédès blieben etwas blaß, kompensierten dies aber durch grelle Garderobe. Dirigent Ralf Weikert leitete den Abend sicher, mehr nicht. Die Hamburger Symphoniker spielten laut und mehr oder minder präzise. Das ist einiges, angesichts der Preise leider viel zu wenig.
In der Erinnerung wird nur Agnes Baltsa bleiben, unprätentiös, konzentriert. Sie besitzt, was anderen fehlt: einmalige Präsenz.
Christian Carsten
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