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Fluchtgefahr, weil Hausbesetzer

■ Gegen eine Bewohnerin des geräumten Hauses am Einsteinufer wurde Haftbefehl erlassen, weil sie angeblich für Polizei und Post nicht erreichbar war

Für Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) war es „nicht hinnehmbar, daß sich die besetzten Häuser Marchstraße 23 und Einsteinufer 41 immer mehr zum Aufenthaltsort für mit Haftbefehl gesuchte Straftäter entwickelt haben“. Auch von der Polizei wurden sechs Haftbefehle als Grund für die mit mehreren Hundertschaften durchgeführte Durchsuchung am 1. August genannt. Und bei der Räumung der Häuser eine Woche später wurde unter anderem mit den „gesuchten Straftätern“ argumentiert, um den Polizeieinsatz zu legitimieren.

Was sich hinter diesen Haftbefehlen verbergen konnte, zeigt der Fall von H. Die 28jährige wohnte im besetzten Haus Einsteinufer 41 und wurde am Montag vergangener Woche festgenommen, als sie ihre persönlichen Sachen zum von der Polizei gesetzten Termin aus dem geräumten Haus abholen wollte. H. wird vorgeworfen, daß ihr Hund bei einer Auseinandersetzung eine Person gebissen habe. Begründet wird der Haftbefehl vom Amtsgericht Tiergarten aber nicht mit dem Tatvorwurf, sondern mit einer angeblichen Fluchtgefahr. Da H. in einem besetzten Haus wohne, in dem weder Postzustellungen noch polizeiliche Hausermittlungen durchgeführt werden könnten, entziehe sie sich der Strafverfolgung. Die Durchführung des Strafverfahrens könne „anders als durch die Verhaftung der Angeschuldigten nicht gesichert werden“, heißt es in dem Gerichtsentscheid.

Thomas Herzog, Anwalt von H., hält diese Begründung für juristisch nicht haltbar und hat Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Ein Haftgrund sei nur gegeben, wenn die Gesuchte flüchtig sei oder sich verborgen halte. Beides sei nicht der Fall, da H. an ihrem Wohnort polizeilich gemeldet war. Zudem müsse die angeordnete Untersuchungshaft im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe stehen. H. habe aber selbst im Falle einer Verurteilung allenfalls eine Geldstrafe zu erwarten.

Daß eine Postzustellung im Einsteinufer durchaus möglich war, zeigt schon die problemlose Zusendung der Anzeige gegen H. im Oktober letzten Jahres. Zudem dürfte der Polizei bekannt sein, daß sich der im Normalfall stets geöffnete Hauseingang auf der Rückseite des Einsteinufers befand. Das Gericht war aufgrund der Angaben des Kontaktbereichsbeamten davon ausgegangen, daß „alle Zugänge im Erdgeschoß zugemauert oder anderweitig verbarrikadiert sind“.

„Ein solcher Tatvorwurf reicht bei Personen mit festem Wohnsitz normalerweise nicht für einen Haftbefehl“, muß auch Justizsprecher Rüdiger Reiff zugestehen. Er kann nicht ausschließen, daß ein weiterer Haftbefehle gegen einen ehemaligen Bewohner der besetzten Häuser mit der angeblichen Fluchtgefahr begründet wurde. Nur einer der Haftbefehle bezog sich nach seinen Angaben auf die Vollstreckung einer nicht angetretenen Haftstrafe.

Dennoch wurden die besetzten Häuser zum „Aufenthaltsort mit Haftbefehl gesuchter Straftäter“ gemacht. Eine entscheidende Differenz, die der Innensenator bei seiner Kampagne gegen die Häuser aber unterschlug.

H. wurde nach ihrer Verhaftung zweimal vollständig durchsucht. Ein Polizist habe durch den Lüftungsschlitz in die enge Zelle des Gefangenentransportes Zigarettenrauch geblasen, worauf H. sich übergeben mußte. Der Beamte habe von ihr zunächst verlangt, sie solle die Zelle reinigen. Anschließend sei ihr über vier Stunden der Gang zur Toilette verweigert worden, obwohl sie starke Monatsblutungen hatte. Erst eine zufällig anwesende Amtsärztin habe ihr einen Tampon gegeben. Auch die H. zustehende Benachrichtigung ihres Anwalts wurde ihr erst am Abend erlaubt, als dieser nicht mehr in seiner Kanzlei erreichbar war. Thomas Herzog wurde jedoch von Freunden über die Verhaftung informiert und konnte einen Haftprüfungstermin für den Folgetag erwirken. Unter der Auflage, sich wöchentlich bei der Polizei zu melden und unverzüglich bei einer Freundin neu anzumelden, wurde H. aus der Haft wieder entlassen. Ohne die Meldeadresse „besetztes Haus“ sah auch die Richterin keine Fluchtgefahr mehr. Gereon Asmuth

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