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Vor dauerhaftem Frieden im Kaukasus

Grundsatzabkommen zwischen Russen und Tschetschenen. Referendum über Unabhängigkeit in fünf Jahren. In Rußlands Hauptstadt wirft man Lebed bereits Kapitulation vor  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Alexander Lebed und Tschetscheniens Unterhändler Aslan Maschadow stampften in einer achtstündigen Sitzung am Sonnabend einen Vierpunkteplan aus dem Boden. Dieser Plan verspricht der Kaukasusregion diesmal einen dauerhaften Frieden. Nachdem beide Seiten das Abkommen in der Nachbarrepublik Dagestan unterzeichneten, ließ die tschetschenische Delegation Lebed hochleben: „Allah ist groß – Lebed zum Präsidenten“.

Der ambitionierte General a.D., der mit starrem Blick das höchste Amt im Staate anvisiert, ließ sich den Triumph nicht nehmen. „Der Krieg ist vorbei, es hat sich erwiesen, daß die Militärs die besseren Politiker sind“, grinste der Friedensemissär süffisant, der den kaukasischen Seiltanz bisher mit Bravour überstanden hat. Unterdessen ließ Präsident Jelzin, der sich immer noch auf einer Staatsdatscha in Sawidowo erholt, durch seinen Pressesprecher melden: „Der Präsident erwartet vom Sekretär des Sicherheitsrates einen detaillierten Bericht mit einer Klärung der Einzelheiten des Abkommens“. Danach verstummte der Wille des Präsidenten erneut. Gerüchten zufolge sei er mit einigen Punkten nicht einverstanden, da sie von den Absprachen mit Premier Tschernomyrdin abwichen. Jelzin konnte sich auch nicht dazu durchringen, seinem Gesandten zum Erfolg zu gratulieren. Immerhin gelang es jenem, innerhalb von zwei Wochen die verfeindeten Parteien zum Einlenken zu bewegen. Auch Tschernomyrdin fand sich nicht bereit, dem Exgeneral wenigstens anerkennend auf die Schultern zu klopfen.

Neben der Einstellung der Kampfhandlungen und dem Abzug der Russen zählt der Verzicht der tschetschenischen Seite, sofort aus dem Verband der Russischen Föderation auszusteigen, zu den grundlegenden Ergebnissen des Abkommens. Man einigte sich darauf, die Souveränitätsfrage bis zum 31. Dezember 2001 aufzuschieben. Dann wollen die Tschetschenen ein Referendum abhalten. Ursprünglich wünschten die Russen, das Problem erst in zehn Jahren wieder aufzugreifen.

In einem Zusatzabkommen werden Einzelheiten des weiteren Prozedere geklärt. Ab 1. Oktober soll eine gemeinsame Kommission ihre Arbeit aufnehmen, die die Abwicklung der Vereinbarungen überwachen wird. Ihr obliegt es auch, die finanztechnischen und hauhaltspolitischen Beziehungen zwischen Grosny und Moskau wiederherzustellen. Überdies gehört es zu ihren Aufgaben, ein Konzept zum Wiederaufbau der verwüsteten Republik zu entwickeln. Auch Verbrechensbekämpfung will man gemeinsam angehen. In Grosny, das demilitarisiert wird, bleiben jeweils 250 Soldaten beider Seiten zurück, die gemeinsam auf Patrouille gehen sollen.

Die äußerst sensible Frage, was mit den tschetschenischen Vertretern der moskautreuen Regierung geschehen wird, erwähnte man zumindest öffentlich nicht. In einem Land, in dem Blutrache zur Regulierung zwischenmenschlicher Konflikte gehört, droht den Quislingen der sichere Tod. In einigen Ortschaften haben Repräsentanten der Separatisten bereits die Leitung der lokalen Administration übernommen. Der moskautreue Präsident Doku Sawgajew hat bis zur letzten Minute darauf gesetzt, daß Lebed scheitert oder Jelzin ihn noch zurückpfeift.

Der Präsident der Separatisten Selimchan Jandarbijew zeigte sich sehr zufrieden mit den Verhandlungsergebnissen. „Ein ernsthafter Schritt Richtung Frieden“, sagte er, warnte aber gleichzeitig vor der Kriegspartei im russischen Establishment. Im Unterschied zu seinem diplomatischen Unterhändler Maschadow feierte Jandarbijew den Vertragsabschluß als einen Sieg Tschetscheniens, das den Status eines unabhängigen Staates besitze. Derartige Äußerungen müssen in Moskau auf Mißfallen stoßen. Lebed wird es schwerfallen, die zahlreichen Gegner des Friedens davon zu überzeugen, im Kaukasus keine Kapitulationsurkunde unterschrieben zu haben.

Kritik kommt aus den unterschiedlichsten Reihen. Selbst die Kommunisten, die noch im Präsidentschaftswahlkampf für einen sofortigen Frieden eintraten, sehen nun wieder Rußlands territoriale Integrität gefährdet. Der kommunistische Sprecher der Duma, Selesnjew, forderte Lebed sogar auf, Sorge zu tragen, daß die Tschetschenen am kommenden Freitag nicht den fünften Jahrestag der Unabhängigkeit ihrer Republik begehen. Das werden sich die Tschetschenen nach all dem Terror von Moskau wohl am wenigsten vorschreiben lassen.

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