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Seit ihr fit for fun?

Berliner Kultur im Zeitalter des Haushaltslochs: Ab 1999 gibt es 100 Millionen Mark weniger jährlich – eine zehnprozentige Budgetkürzung, auf die der Kultursenator Peter Radunski mit einem drastischen Diätplan reagierte  ■ Von Petra Kohse

Die Vermutung, daß der Berliner Kultur im Jahr 1996 100 Millionen Mark abgeknapst werden müssen, hatte der Vorsitzende des parlamentarischen Haushaltsausschusses, Klaus Franke (CDU), noch vor zehn Monaten als Gerücht brüsk zurückgewiesen.

Nun, das war damals. Und ganz so drastisch ist es auch tatsächlich nicht gekommen. Obwohl der Berliner Haushalt in diesem Jahr ein Defizit von insgesamt 2,4 Milliarden Mark aufweist und die Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) deswegen vor zwei Wochen eine Haushaltssperre verhängte, hat die Kultur noch eine Schonfrist. Auf 100 Millionen Mark läuft es zwar hinaus, aber bis 1999 hat der Berliner Kultursenator Peter Radunski (CDU) Zeit, sich und die Seinen schrittweise daran zu gewöhnen, daß der Kulturetat dann um zehn Prozent geringer sein wird als heute.

Zehn Prozent – was heißt das? Jede zehnte der öffentlich geförderten Veranstaltungen streichen? Zehn Prozent weniger Subvention für alle? Oder ein Haus in der notwendigen Größenordnung ganz schließen? Die Deutsche Staatsoper etwa, die mit 85,5 Millionen Mark jährlich gefördert wird? Nun, direkte Schließungen sind auch im Jahre drei nach dem Schiller Theater noch ein Tabu, obwohl man geneigt wäre, ernsthaft darüber nachzudenken, betrachtet man das Gemurkse, das seither ersatzweise eingesetzt hat.

Zehn Prozent – wie packt es der Senator an? Zunächst hat er ein 15 Millimeter dickes „Papier“ anfertigen lassen, in dem der Diätplan für den Kulturkörper Berlins mental vorbereitet wird. Erkenne deine Problemzonen, lautet die Message, und durchaus nicht ohne Selbstkritik wird festgestellt: „Das derzeitige Rollenverhalten von Politik, Verwaltung und Institutionen erschwert eine bewußte Gestaltung der Berliner Kulturlandschaft.“ Aber wie sollte dieses verändert werden? Schließlich ist es doch derzeit kaum zu ändern, daß „finanzpolitisch dominierte Entscheidungen“ das kulturelle Angebot bestimmen und noch weiter bestimmen werden.

Eine Alternative wäre allenfalls, daß das kulturelle Angebot nach künstlerischen Kriterien beschnitten würde? Wo aber sitzt die Jury, die das beurteilen könnte? Seit knapp zwei Jahren tagt der Rat für die Künste jeden Montag, ohne daß diese Vertretung aller Kulturinstitutionen Berlins sich auch nur zu einem einzigen einschneidenden Schritt durchgerungen hätte. „Selbstschützend und starr“ würden die Kulturschaffenden auf den Finanzdruck reagieren, konstatiert daher der Senator, fügt aber hinzu, daß die Verwaltung ihrerseits bisher auch keine „inhaltlichen Gestaltungsvorschläge“ gemacht habe. Das will das aktuelle Papier nun offenbar leisten.

Um besser in den Blick zu bekommen, worüber eigentlich diskutiert werden muß, wurden auf dem Kulturkörper 16 Kreise markiert, woraufhin die Lokalpresse schon über die „Kreisstadt Berlin“ witzelte. Die Theater teilen sich nun beispielsweise in „Opernhäuser“, „Leichte Muse“, „Privat-/ Off-Theater“, „Kindertheater“ und „Sprechtheater“ auf. (Bei der offiziellen Feier zu seinem 90. Geburtstag donnerte Bernhard Minetti im Januar 1995 zwar, der Ausdruck „Sprechtheater“ sei kompletter Schwachsinn, weil im Theater immer gesprochen werde, aber das kann Radunski nicht wissen, denn damals hieß der Kultursenator noch Roloff-Momin).

Alsdann wird zu den Figurproblemen übergeleitet, wobei gilt: Alles was nicht Kern ist, ist Fett und muß weg. Was aber zählt zum Kern? Wie viele Knochen und Muskeln – und welche? „Redundanzen“ sollen vermieden werden, Themenbereiche konzentriert behandelt, Werkstätten gemeinsam genutzt werden, Nebenspielstätten kann man sich nicht mehr leisten.

Immerhin, der Zeitplan ist buchhalterisch ausgefeilt: Bis Ende Oktober soll das Strukturkonzept öffentlich diskutiert, im November festgelegt werden. Der Haushaltsplan 1997 soll bis kommenden März beschlossen sein, für die Erstellung des Kulturbudgets 1999 ist dann ein Jahr Zeit.

Um die Problemzonen nun im einzelnen erkennen und diskutieren zu können, wurden alle Kreise charakterisiert und in finanzieller Hinsicht durchleuchtet. Generell gilt für die Bühnen und Orchester, daß sie in Marketing und Werkstätten kooperieren sollen und auch ihre Rechtsformen ändern sollen. Ohne Tabus: Über Privatisierung soll ebenso nachgedacht werden wie über Stiftungen des öffentlichen Rechts oder GmbHs.

Weiterhin sollen alle drei Opern erhalten bleiben, sich zukünftig aber in Technik und Verwaltung weitgehend zusammenschließen und komplementäre Spielpläne erarbeiten. Die drei Ballett-Ensembles der drei Opern sollen zu zweien zusammengeschlossen werden: ein modernes und ein klassisches. Die „Leichte Muse“, bestehend aus Friedrichstadtpalast, Theater des Westens und Metropol-Theater, wird in Zukunft gucken können, wo sie bleibt. Weitgehende kommerzielle Konkurrenzfähigkeit wird vorausgesetzt, statt gemeinsam 74 Millionen Mark sollen sie 1999 nur noch 50 Millionen Mark bekommen.

Auch soll die Grenze zwischen Privat- und Off-Theater fallen, und alle werden künstlerisch strikt überprüft. Die „Imitation von Staatstheater auf materiell und künstlerisch bescheidenem Niveau“ gilt als ebensowenig förderungswürdig wie Kabarett und Varieté. Das Deutsche Theater, die Volksbühne & Co. indessen müssen in den Ensembles abspecken und sich Blockbespielung oktroyieren lassen, denn der tägliche Wechsel des Programms ist erquicklich, aber teuer. Zur Sache geht es noch einmal beim „Kreis Musik“, wo es lapidar heißt, die Orchesterzahl könne verkleinert werden. In jedem Fall gemeint sind die Berliner Symphoniker.

All das klingt beeindruckend entschlossen. Es klingt aber auch beunruhigend entschlossen. Denn nicht nur der forsche bürokratistische Ton irritiert, sondern auch die Bestimmtheit, mit der etwa bezweifelt wird, daß die weitere Verknüpfung der Filmfestspiele mit dem Forums des jungen Films „effektiv“ und „sinnvoll“ sei (vgl. taz vom 11.9.). Natürlich kann man von einem Radunski-Notspar-Papier nicht erwarten, daß es die Diskussionen über den inhaltlichen und ästhetischen Gehalt der Berliner Kulturinstitutionen ersetzt, die in den letzten drei Jahren nicht stattgefunden haben. Zu erwarten gewesen wäre aber, daß es sie endlich initiiert. Dieses Papier jedoch will jegliche Wortmeldung von vornherein besserwisserisch erschlagen. Merke: Was dem einen als Problemzone erscheint, mögen andere „griffig“ und erotisch inspirierend finden. Ist ein wohlgenährter Körper, dem vielleicht ein Glied fehlt, nicht doch attraktiver als ein intaktes Skelett?

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