piwik no script img

Ein Schiff wird kommen

■ Mission Kulturaustausch: Der Poetendampfer „Stechlin“ fährt die Oder entlang

Es ist 9.05 Uhr am Sonntag morgen. Noch sind die uckermärkischen Birken grün, die über der glänzenden Bundesstraße ihren Tau abnicken. Ein Zug Wildgänse flieht über mir nach Süden. Ich fahre in die Gegenrichtung. Zur polnisch-deutschen Grenze und weiter nach Szczecin. Dort liegt der deutsch-polnische Poetendampfer vor Anker, der nun zum zweiten Mal in See sticht.

Seit dem vergangenen Jahr will man mithelfen, aus der bis 1989 wasserdichten Grenze eine normale europäische zu machen. „Auf dem Weg zum Hause des Nachbarn“ heißt das Motto. Die Zeile aus einem Gedicht von Johannes Bobrowski ist gut gewählt, weil darin mitschwingt, daß die Annäherung schon unterwegs beginnt. Bevor ich die „Stechlin“ überhaupt betreten kann – so der passende Name des Dampfers – muß ich erst die Konsumparade abnehmen: Gleich hinter dem Schlagbaum stehen sie in Reih und Glied: monströse Gartenzwerge, Windmühlen, Plastikstörche – die Zierden uckermärkischer Vorgärten. Zahllose Supermärkte wünschen forsch einen „Guten Einkauf“, Flohmärkte und billige Tankstellen locken. Hier geht das nachbarliche Interesse übers Merkantile kaum hinaus. Dann endlich stoße ich auf den gesuchten Oderkahn. Zwar duckt er sich bescheiden neben einen Dreimaster, dem Schulschiff der polnischen Marine, doch auf dem Dampfer herrscht aufgekratztes Reisefieber. Händeschütteln unter Honoratioren, Presse und AutorInnen. Skeptische Blicke zum dramatisch bewölkten Himmel und Schielen nach den Sektflaschen. Die 16köpfige Kulturcrew will zwei Wochen lang versuchen, nicht nur im Klüngel über Literatur zu klönen oder beim Katerfrühstück unter sich zu sein. In 13 Städten längs der Oder werden sie von Bord schwärmen, um Neugierde auf die jeweils „drüben“ Wohnenden zu schüren.

Das gelingt am ersten Tag nicht nur im renommierten Szczeciner Off-Theater „Kana“, sondern bereits mit dem Begrüßungskozert des Rockpoeten Martin Swietlicki. Als der Lyriker im schwarzen Outfit seine Weltsicht in den Sonntag schreit, zieht er auch Flaneure an. Die werden dann vom Autor Cott begrüßt, der eigene, handgerollte Gedichte verteilt. Anja hockt mit ein paar Freunden im feuchten Gras und ist nur wegen Swietlicki hier. Doch die Idee vom Poetendampfer findet sie gut, zumal sie die Deutschen nur als Sonntags- Shopper kennt.

Jugendaustausch? Gibt's hier nicht. Dasselbe wird zwei Tage später von Schwedter SchülerInnen beklagt, die hier im „Club Total“ den vom Dampfer importierten Dokumentarfilm „Grenzland“ sehen. Klar fahren sie nach Polen. Zum Shopping. Was der Poetendampfer leisten will, ist kulturelle Basisarbeit. So haben Uta Rabenalt, Katarzyna Halemba und Monika Panse, die Organisatorinnen der Aktion, sich das gedacht. Die Bedeutung des geistigen Austauschs hebt auch der Szczeciner Stadtpräsident hervor. In sorgfältig gewählten Worten zitiert er François Mitterrands Vision von Europa als „Vaterland der Literatur“. Angesichts des aggressiven Nahkampfes, den sich die Einkaufsrückkehrer am Nadelöhr der Grenze liefern, ein hehres Ziel. Erst durch die (Kultur-)Politik der kleinen Schritte werden egozentrische Interessen, Uraltvorurteile und Sprachbarrieren auf beiden Seiten wegzuräumen sein.

Doch auf dem Dampfer ist man optimistisch. Die T-Shirts der Sekt-Boys bebildern diese Haltung: Ein kleiner Ikarus mit Zylinder setzt da zum Start in die Lüfte an. Darunter der Leitspruch von Radio Brandenburg (neben dem Polnischen Kulturinstitut und vielen anderen Mitveranstalter der Aktion): „Was, glauben Sie denn, ist Kultur?“ Vom herausragenden Behinderten-Theater der „Sonnenuhr e. V.“ über Krimilesungen, SchülerInnentreffs zum Kinderliteraturfest, das alles soll „Austausch-fähig“ sein.

Der intime Charakter dieser Bootsaktion wird dabei sicher quasifamiliäre Zustände befördern. So entwickelte sich am Sonntag nachmittag bei Brot und Wein im Teatr Kana die erste liebevolle Kabbelei: Ob man Gedichte simultan übersetzen darf? Gaby Hartel

Die Fahrt dauert noch bis zum

26. 9, Informationen zum Programm: 0331/7213962.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen