Das Portrait: Apparatschik und sanfter Reformer
■ Andrej Lukanow
Populär war er nie. Zwar war er kein typischer Apparatschik, doch auch kein echter Reformer: Andrej Lukanow. Vergangenen Mittwoch wurde Bulgariens ehemaliger Ministerpräsident erschossen in seiner Wohnung aufgefunden. Mut hatte Lukanow nur ein einziges Mal bewiesen. Das war 1989, als auch die Bulgaren auf die Straße gingen, um das kommunistische Regime zu stürzen. Damals führte der Wirtschaftswissenschaftler jene reformfreudige Fraktion innerhalb der KP an, die eine sanfte Entmachtung von Staats- und Parteichef Todor Schiwkow forderte, jenes kränkelnden Stalin-Verehrers, der schon fast 30 Jahre an der Macht war.
Doch schon im November 1990 mußte Lukanow als neuer Ministerpräsident selbst zurücktreten. Landesweite Demonstrationen, Streiks und Fabrikbesetzungen zwangen den etwas zögerlichen Erneuerer zum Rücktritt. Als die Sozialisten bei den ersten Mehrparteienwahlen abgewählt wurden, landete Lukanow wegen Veruntreuung von Staatsgeldern und persönlicher Bereicherung für sechs Monate in Untersuchungshaft.
So mysteriös damals seine Freilassung war, so viele Fragen wirft nun sein Tod auf. Waren es Wirtschaftskriminelle, denen der mittlerweile erfolgreiche Wirtschaftsmanager im Weg stand, oder geht das Verbrechen auf das Konto ehemaliger Stalinisten, die den politischen Mitwisser beseitigen wollten?
Als Sohn linientreuer Kommunisten kam Lukanow 1938 in Moskau zur Welt. Schon als Kind wurde er Zeuge stalinistischer Schauprozesse, und als Jugendlicher erlebte er, wie unter Schiwkow Zehntausende „Staatsfeinde“ ermordet oder lebenslänglich in die Verbannung geschickt wurden. Es war sein Vater, der ihm im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zu einigen exponierten Spitzenfunktionen verhalf, etwa als Unterhändler mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Gleichzeitig war Lukanow Vorsitzender bilateraler Wirtschafskommissionen, unter anderem mit China und Polen. In seine Zuständigkeit fielen Import- und Exportrestriktionen und die Überwachung bulgarischer Staatsfirmen auf dem Weltmarkt. Aus dieser Zeit stammen Lukanows intensive Verbindungen zu westlichen Konzernen und Managern. „Er war in jeder Hinsicht ein Mitwisser“, schrieb gestern die Zeitung Demokrazija, „und für manch finstere Kräfte eine Gefahr.“ Karl Gersuny
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