■ Nachschlag: Kellner tot – kassiert weiter!: Teatr Kreatur mit „Die grüne Gans“
Eine schreckliche Truppe hat sich da auf dem alten Kahn versammelt. Lange Lulatsche, magere Baronessen, abgehalfterte Revolutionäre, durchschossene Kellner, hysterische Irrenärzte. Laut und chaotisch ist die Tonart, ohne Rücksicht auf Verluste. In den übergeschnappten Dramoletten des polnischen Lyrikers Konstanty Ildefons Galczynski (1905 bis 1953) toben sich Andrzej Worons Kreaturen aus, als sei's der letzte Auftritt vor dem Sinken.
Mit seiner „Grünen Gans“ gründete Galczynski das „Kleinste Theater der Welt“ – in Form von Einminutenstücken, die er 1946 bis 48 in einer Zeitung veröffentlichte. Sah sich der Autor in den Dreißigern noch als „Feind der Wunder“, so driften seine Texte nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend ins Phantastische und Surreale.
Das Teatr Kreatur verfrachtet die Minidramen des Polen auf die Bühne, oder in den Bug des Theaterschiffs „la mar“. Bühnenbild ist ein Sofa, der Rest Regieanweisung, vorgetragen von zwei eleganten Conférenciers. Mit „Lebendig eingepökelt“ geht es zur Sache und mitten ins erste Dramolett. Baronin betrügt Gatten, Gatte ertappt in flagranti, Baronin wird eingepökelt. Oder der Dramensplitter „Seltsam! Kellner tot – kassiert weiter“. Nur leider wird Galczynskis grotesker Humor in Andrzej Worons lärmendem Theatertollhaus häufig überspielt. Ohne stilisierte Masken und abstruse Requisiten, ohne die phantasmagorische Atmosphäre früherer Aufführungen wirkt das Teatr Kreatur seltsam hilflos. Da geraten Galczynskis kleine Kabinettstückchen schon mal zu grobschlächtigen Schenkelklopfern.
Im Eifer des stürmischen Gefechts gönnt sich die Aufführung auch nicht die winzigste Rast. Sozusagen zur Pauseneinlage auf offener Bühne wird eine Nummer ganz im Geiste von Loriots legendärem Kosakenzipfelkampf. Zwei Herren stehen in der Tür, gestatten sich großzügigerweise gegenseitig den Vortritt, doch keiner geht voran. „Seien Sie so gütig“ ist die einzige Zeile in diesem Dialog, der vom höflichen Geplänkel über Insistieren und Brüllen bis zu Mord und Totschlag ausartet. Währenddessen bestellt man Wein und Bier in der Theaterkombüse. Nach dem Intermezzo gerät die Welt dann vollends aus den Fugen. Da ruft Worons Truppe ganz euphorisch den überfälligen „Club der ungebügelten Hosen“ aus. Nieder mit der Bügeldiktatur! Weg mit den terroristischen Bügelfalten! Laßt Hosen endlich wieder die „heiteren Röhren“ sein, nach denen sich die Beine sehnen. Katja Nicodemus
Bis 16.10., 20 Uhr, Theaterschiff la mar, Märkisches Ufer, Mitte
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