: „Da ist keine Luft zum Atmen“
30.000 bosnische Kriegsflüchtlinge sind von der Abschiebung bedroht. Sie wollen in ihre Heimat zurück, aber nicht ins Ungewisse. Und sie haben Angst vor der Feindseligkeit der ehemaligen Nachbarn ■ Von Jens Rübsam
Mevla Bosnjak hat einen Brief geschrieben. „Meinen Mann haben sie in der Heimat Zvornik festgenommen und in ein Lager gebracht. Mit ihm sind am 2. Juni 1992 etwa 750 Leute aus dem Ort verschleppt worden, von denen es bisher kein Lebenszeichen gibt.“ Weiter unten heißt es: „Wir haben keine Möglichkeiten, nach Hause zu gehen, da Zvornik zur Zeit unter serbischer Kontrolle ist, und wir dort kaum unsere alten Wohnungen und Häuser zurückbekommen werden, worauf wir immer noch warten und hoffen.“ Mevla Bosnjak, vor vier Jahren aus Bosnien nach Deutschland geflohen, hat diesen Brief an Abgeordnete des Senats geschrieben – in der Hoffnung, gehört zu werden.
Rund 300.000 bosnische Kriegsflüchtlinge leben derzeit in Deutschland, 30.000 in Berlin. Laut Beschluß der Innenministerkonferenz vom 19. September können die Bundesländer ab 1. Oktober „ihre“ Bosnier ganz legal abschieben. Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) will Mitte Oktober damit anfangen.
Fuada Mekanić hätte auch einen Brief schreiben können. Seit 1992 ist sie in Berlin, im Hohenschönhausener Flüchtlingsheim Gehrenseestraße. Gekommen ist sie vor vier Jahren aus Vlosenica, gemeinsam mit ihrem achtjährigen Sohn Mersad. Im Gepäck: ein paar persönliche Sachen und ein Führerschein. Mehr nicht. „An der Grenze hat man uns den Paß abgenommen.“ Zurückgeblieben sind auch ihre Eltern, ihre Verwandten und ihr Mann Kabil. Vater und Bruder sind im Krieg umgekommen, Kabil gelang erst vor einem Jahr die Flucht nach Deutschland. „Er hat Glück gehabt.“
Nein, verbittert ist Fuada Mekanić nicht. Sie hat sich in Hohenschönhausen eingerichtet – so gut es eben ging. Lernte im Verein SFAB (Selbsthilfe-Förderung Ausländischer Bürger) Deutsch, engagierte sich für andere bosnische Kriegsflüchtlinge. Mersad geht heute in die 5. Klasse, ist einer der Besten in der Schule, hat in Deutsch eine Eins und auch in Mathematik. Fuada ist stolz auf ihren Sohn. „Wissen Sie, er bringt im Diktat eine Eins nach Hause.“
Heimat. Für Fuada Mekanić ist Berlin nie Heimat geworden. „Das ist Bosnien, das ist meine Stadt.“ Dort hat sie 17 Jahre als Zahntechnikerin gearbeitet, hatte eine kleine Wohnung und ihre Familie einen guten Ruf. Trotzdem: Nach Vlosenica will sie nicht zurück. Die Stadt ist inzwischen in Serbenhand, ihre Wohnung von einer serbischen Familie besetzt. „Da können wir nicht mehr leben. Die Stadt ist ein Gefängnis, da ist keine Luft, um atmen zu können.“
Wo soll sie hin? Wo soll sie leben? Wo soll sie arbeiten? Wann wird ihre Familie ausreisen müssen? Wie geht es überhaupt weiter? Fragen, auf die Fuada Mekanić keine Antwort hat. Die Politiker haben beschlossen, abzuschieben, aber was danach kommt, darüber haben sie sich keine Gedanken gemacht. „Sollen wir Bosnier etwa mit den Serben zusammenleben?“
Wie fast alle der 2.000 in Hohenschönhausen lebendenen bosnischen Kriegsflüchltinge will auch Fuada Mekanić nach Hause zurückkehren. Das sei nicht die Frage. „Mein Sohn will endlich wieder einmal Oma und Opa sehen, will mit seinem alten Spielzeug spielen.“ Nur: Wohin soll sie gehen, wenn sie plötzlich auf dem Flughafen in Sarajevo steht? Auf der Straße schlafen? „Das ist das große Problem.“ Fuada möchte in Sarajevo leben, soviel weiß sie schon. Auch, weil Mersad da einmal studieren soll. Er liebt die Mathematik und die Computer.
Fuada Mekanić hofft, bis Schuljahresende in Berlin bleiben zu können. Mersads wegen.
Flüchtlingsheim Gehrenseestraße: Im Raum 500, dem SFAB- Vereinsraum, hängen Bilder des bosnischen Künstlers Redzo Mujić. Sie heißen „Das Mädchen mit den blauen Augen“, „Die Stadt, die Angst vor dem Sonnenaufgang hat“ oder einfach nur „Rathaus Sarajevo“. Sie alle erinnern schweigend an ein Land, das es nicht mehr gibt. Erzählen können die 80 Kriegsflüchtlinge, die heute hierher gekommen sind, um mit den Bündnisgrünen Regina Schmidt, Ingrid Lottenburger, Ismail Kośan und Riza Baran über Probleme und Konsequenzen ihrer Rückführung zu diskutieren. Lutvo Balić, der Lehrer aus Drinsko, will wissen, warum ihm die Polizei einen Paß abgenommen und statt dessen nur eine „Bescheinigung (gilt nicht als Paßersatz)“ ausgestellt hat. „Wer bin ich jetzt?“ fragt Lutvo Balic. „Ein Verbrecher?“ Fatima Bajrić aus Bijeljina ging es ähnlich. Paß weg, dafür eine Bescheinigung, „die bei jeder polizeilichen Kontrolle vorzulegen ist“. Dazu gab's ein Schreiben, das belehrt, daß sie „im Falle der Abschiebung nicht ins Bundesgebiet und das gesamte Gebiet des Schengen-Abkommens (Frankreich, Benelux, Spanien und Portugal) einreisen und sich darin aufhalten“ darf. Für weitere Fragen, ist vermerkt, könne man sich an die Beratungsstelle für Rückkehrerhilfe und Weiterwanderung wenden.
Nach zwei Stunden Diskussion sagt die Bündnisgrüne Regina Schmidt: „Die Politiker, die das Rückführungsabkommen beschlossen haben, sind strukturell hilflos. Sie können einfach nicht bis zum Ende denken.“
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