■ Ökolumne: Gipfelblühen Von Thomas Worm
„Man nehme eine Hauptstadt, ein Thema wie Flüchtlinge und 2.000 Delegiertentickets – fertig ist der UNO- Gipfel“, so kürzlich ein Journalist. Schon im November werden wir den nächsten erleben: die Ernährungskonferenz der Vereinten Nationen in Rom. Dann geistern wieder Zahlen über Unterernährte, Getreideproduktion und Pro-Kopf-Kalorien durch die Medienlandschaft und erinnern die Saturierten an ihr Privileg eines gefüllten Magens.
Einerseits werden Vertreter der Welternährungsorganisation FAO die wachsende Not beschwören, andererseits werden sie Erfolge im Ringen mit dem Hunger verbuchen. Ein heikler Spagat. Denn mehr als früher müssen UNO-Einrichtungen ihre Existenzberechtigung nachweisen.
Das gilt auch für die Weltkonferenzen. Deren Termine häufen sich auf dem Kalender. Kindergipfel 1990 in New York, Umweltgipfel 1992 in Rio, Menschenrechtsgipfel 1993 in Wien, Bevölkerungsgipfel 1994 in Kairo, Sozialgipfel 1995 in Kopenhagen, Frauengipfel 1995 in Peking, Städtegipfel 1996 in Istanbul und nun der Ernährungsgipfel. Unterdessen kriselt es immer heftiger in den Vereinten Nationen. Bekanntlich nicht erst, seit US-Präsident Clinton UNO-Generalsekretär Butros Ghali wie einen unbotmäßigen Juntachef auswechseln möchte. Schrumpfende Geldtöpfe und fehlende Möglichkeiten, die Beschlüsse auf nationaler Ebene durchzusetzen, machen auch aus den UNO-Konferenzen schon seit längerem Festivals der Absichtserklärungen.
Die jährliche Weltkonferenz als pressegerechte Sozialolympiade? Ihre Botschaft lautet jedenfalls immer gleich: Die Vertreter aller Nationen wetteifern friedlich um eine gemeinsame Erklärung, hier findet Völkerverständigung zugunsten der Armen und Geschundenen statt. Und Leute von der Basis – die Nicht-Regierungsorganisationen – reden inzwischen mit. Ihrer beharrlichen Arbeit übrigens ist es wesentlich zu verdanken, daß noch ein Rest von Gipfelvertrauen existiert. Was aber als Substanz der Beschlüsse übrig bleibt, versickert im bodenlosen Gedächtnis der Mediengesellschaft. Oder wer weiß noch, daß sich der erste Welternährungsgipfel 1974 zum Ziel setzte, „innerhalb einer Dekade“ den Hunger weltweit auszurotten?
Dabei gilt es keineswegs allein den 800 Millionen unterernährten Menschen auf der Erde eine Chance auf selbstverdientes Brot zu eröffnen. Die Wende zum nachhaltigen Wirtschaften steht an im Agrarbereich, nicht nur in den Industrieländern. Andernfalls könnten ökologische Risiken die Ernährungslage drastisch verschlechtern. Vor Dürreperioden, Überschwemmungen und Sturmschäden durch den Klimawandel hat gerade erst der Umwelt-Beirat der Bundesregierung gewarnt. Damit nicht genug. Täglich gehen Hunderte Quadratkilometer fruchtbarer Böden durch Erosion und Wassermangel verloren. Gleichzeitig entlädt eine chemisierte Landwirtschaft ihre Nitrate und Phosphate, Pestizide und Herbizide in Äcker, Flüsse, Ozeane. An den Küsten, wo über die Hälfte der Menschheit siedelt, ruiniert diese Giftfracht die Laichgebiete der Speisefische – wichtigste Proteinquelle weltweit.
Eine zweite „grüne Revolution“ mit genmanipulierten Pflanzen wird ebensowenig eine Antwort auf das Nahrungsproblem liefern wie die Einbeziehung von Agrarerzeugnissen in das Weltfreihandelsabkommen. Zu stark sind subventionierte Überschußgebiete wie die Europäische Union mit ihren Billigexporten und zu mächtig das Agrobusiness, wo sechs Riesenkonzerne 70 Prozent des Weltgetreidehandels kontrollieren.
Solange Bauern ohne Hoffnung auf eine Landreform den Urwald brandroden, solange soziale Verelendung den Druck auf ökologisch sensible Gebiete wie die Mangrovenwälder verstärkt, wird der Kampf ums Überleben ein Kampf gegen die Natur bleiben.
Lieber weniger UNO-Gipfel, dafür mehr Verbindlichkeit: etwa Länderpläne für regionales Küstenmanagement, das seine Menschen auf Dauer ernährt. Ansonsten könnte einer auf die Idee kommen, das „Gipfelblühen“ ähnele dem Wachstum von Fichten, die mächtig viele Zapfen austreiben – bevor sie umfallen.
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