: „Bring hier mal keine Unruhe rein“
■ Ex-Vorständler Eckart Knoth über die Unternehmenspolitik des Vulkans und über seine Arbeit mit Hennemann
An seine Arbeit beim Bremer Vulkan erinnert sich Eckart Knoth (60) nicht gerne. Fünf Jahre lang saß er ab 1984 als Vorstandsmitglied in der Chefetage des Schiffbaukonzerns. 1987 wurde er Hennemanns Stellvertreter. Nach Querelen mit dem Vulkan-Chef verließ er zweieinhalb Jahre später „frustiert“ den Konzern. Hennemann hätte stets „Politik mit Wirtschaft verwechselt“, sagte Knoth am Mittwoch vor dem Untersuchungsausschuß. Heute ist er geschäftsführender Gesellschafter der Elbe-Werft in Boizenburg.
taz: Herr Knoth, Sie waren fünfeinhalb Jahre beim Bremer Vulkan. Als ihr Vertrag 1989 um fünf Jahre verlängert werden sollte, haben sie auf Ihren gut dotierten Posten verzichtet und den Konzern sogar ein halbes Jahr früher verlassen, als es ihr Vertrag ursprünglich vorgesehen hatte. Warum hatten Sie es so eilig, den Vulkan zu verlassen?
Eckart Knoth: Weil das kein Arbeiten mehr war.
Was heißt das?
Im Vorstand war einfach keine vernünftige Zusammenarbeit möglich. Hennemann war sehr auf sich als Person bezogen. Es gab kein Miteinander. Wenn man neue Vorschläge vorbrachte, hat er sie häufig mit den Worten: „Nun bring hier mal keine Unruhe rein“, abgebogen.
Vor dem Untersuchungsausschuß haben Sie ausgesagt, daß der Vulkan von Anfang an kein Schiff ohne Verlust gebaut hat.
Im Saldo ist das richtig, wenn man die Beteiligungen und die Charterdifferenzgarantien miteinbezieht.
Sie haben weiter gesagt, daß das Geld zum größten Teil durch die Übernahme neuer Werften in die Kasse des Vulkans geflossen sei. Als Beispiel nannten Sie die Übernahme der Lloyd Werft. Hapag Lloyd sei froh gewesen, das unprofitable Unternehmen abstoßen zu können. Um die Lloyd Werft loszuwerden, hätte Hapag Lloyd die Verluste ausgeglichen und sogar noch acht Millionen Mark draufgezahlt. „Ein sagenhaftes Glück“ für den Vulkan sei es gewesen, daß die Ostwerften in den Verbund kamen.
Das ist im großen und ganzen richtig.
Diese Misere haben Sie sich als Vorstandsmitglied fünfeinhalb Jahre mit angesehen. Warum haben Sie nichts dagegen getan? Schließlich waren Sie zum Schluß der Stellvertreter Hennemanns.
Ich habe immer wieder versucht, andere Schiffbauaufträge für den Vulkan reinzubekommen. Ich bin gescheitert. Ich habe damals gemeint – und das würde ich auch heute noch so vertreten – daß eine Werft, die nur von Containerschiffen leben will, sehr einseitig ausgelastet ist. Containerschiffe können nämlich auch im Fernen Osten gebaut werden – und zwar mit erheblich niedrigeren Lohnkosten. Der Passagierschiffmarkt ist nicht ganz so ausgereizt. Der Vulkan mußte beim Bau der Containerschiffe immer irgendwelche Selbstbeteiligungen über Einwerbegesellschaft einnehmen. Das kostete Geld. Deshalb konnten wir als Werft auch nicht den Preis erzielen, den wir hätten haben müssen.
Mit Passagierschiffen wäre der Vulkan besser gefahren?
Ja. Davon bin ich überzeugt – der Vorstand war damals allerdings nicht davon zu überzeugen. Wir haben zum Beispiel für die Norwegian-Caribbean-Line Entwicklungen gemacht. Die Bauunterlagen, die wir erarbeitet hatten, sind bei den Werften ausgeschrieben worden. Später sollten wir aufgrund der Generalpläne und der Bauvorschriften, die wir erarbeitet haben, ein Angebot abgeben. Für die Norwegian-Caribbean-Line wären das zwei Passagierschiffe gewesen plus die Option ein weiteres zu bauen. Zwei dieser Schiffe sind später dann tatsächlich gebaut worden, aber in Frankreich und nicht beim Vulkan. Wenn wir uns angestrengt hätten, hätten wir den Auftrag bekommen.
Mit welcher Begründung hat sich der Vorstand den Auftrag durch die Lappen gehen lassen?
Im Vorstand war keiner bereit, ein Einstiegsrisiko zu tragen. Man kann das aber nicht nur der Person Hennemanns zuschreiben. Der Gesamtaufsichtsrat und der Vorstand haben gesagt, daß das Risiko zu groß sei.
Später hat der Vulkan nochmal zwei Passagierschiffe für die Holland-Amerika-Line entworfen.
Ja, und das lief genauso: Wir haben die Ausschreibungsunterlagen gegen Bezahlung erstellt.
Wieviel haben Sie dafür bekommen?
Das weiß ich nicht mehr genau. Ungefähr 1,2 Millionen Mark. Wir haben verhandelt und verhandelt. Im Enddeffekt ist es daran gescheitert, daß wir als Werft – entgegen der Zusage – nicht das Risiko der Dollarabsicherung übernehmen konnten und wollten.
Was hätte der Vulkan für die Schiffe kassiert?
Gut 500 Millionen Dollar. Der Schiffspreis lag ungefähr bei 250 Millionen Dollar pro Stück.
Wieviel hätte die Dollarabsicherung den Vulkan gekostet?
Zirka 36 Millionen Mark pro Schiff.
Im Untersuchungsausschuß haben Sie erzählt, daß die Verträge schon so gut wie unterschrieben waren, als Sie am Verhandlungstisch in Seattle plötzlich ein Telefax von Friedrich Hennemann bekamen. Hennemann hätte Sie praktisch im letzten Moment wegen der Dollarabsicherung zurückgepfiffen?
Das haben Sie ja gehört. Ich will diese Geschichte jetzt nicht wiederholen.
Wenn diese Geschichte stimmt, würde sie aber ein interessantes Licht auf den Führungsstil Hennemanns werfen.
Ich sage dazu nur noch soviel: Wenn eine mündliche Vereinbarung, die auch im Vorstand zugesichert worden war, hintenrum nicht mehr eingehalten wird, dann kann man da nicht mehr arbeiten.
War das der Grund für Sie, zu gehen?
Wenn Sie so wollen, war das das Tüpfelchen auf dem „i“, das den Frust zum Überlaufen gebracht hat. In Bremen hat man damals überhaupt nicht verstanden, warum ich weggegangen bin. Ich habe immer gesagt, ich bin gegangen, weil ich mich selbständig machen wollte – ich wollte nicht noch irgendwelche Verhältnisse zwischen dem Vulkan und mir belasten. In Wirklichkeit bin ich gegangen, weil ich schon damals erkannt habe, daß es in eine Richtung geht, die ich nicht mehr verantworten kann. Ich bin ja weggegangen, als es beim Vulkan noch relativ geordnet zuging. Als ich im August 1989 meine Bitte geäußert habe, wegzugehen, war ja von einer Wiedervereinigung noch nicht die Rede. Es war ja nicht nur Hennemann, sondern auch die Vertreter im Aufsichtsrat und Vorstand, die die Dinge einfach mitgemacht haben.
Also Hennemann war der große Herrscher, gegen den niemand aufgemuckt hat?
Naja, er hat seine Vision vom großen Konzern immer wieder gut rüberbringen können. Das hat ihm jeder abgenommen.
Das klingt jetzt so, als hätte Hennemann mit Argumenten überzeugt. Vorhin haben Sie aber noch seinen rigiden Führungsstil beklagt.
Ich kann Ihnen nur das Buch: „Der Klub der Kontrolleure – das Versagen der deutschen Aufsichtsräte“ von Jürgen Gaulke empfehlen. Da steht auch eine Abhandlung über den Vulkan drin, die das Ganze auf den Punkt bringt.
Und was steht da?
Auf dem Umschlag steht: „Aufsichtsrat ist ein wunderbarer Beruf. Die Zahl der Sitzungen hält sich im Rahmen. Das vom Unternehmen bei Übernachtung bezahlte Hotel ist meistens das Erste am Platz, und obendrein sitzt der Aufsichtsrat neben furchtbar interessanten und wichtigen Leuten, die er vielleicht noch einmal brauchen kann.“
Und das gilt für den Vulkan?
Das haben Sie gesagt, ich habe jetzt nur ein Buch zitiert.
Im Untersuchungsausschuß haben sie sich aber über die Mitläufer im Vorstand beklagt und den Aufsichtsräten vorgeworfen, sie hätten sich durch die vielen Papiere abschrecken lassen. Der Vorstand hätte einmal vier Stunden getagt, nur um zu entscheiden, ob für die leitenden Angestellten eine Schranke gebaut werden solle oder nicht.
Ja, das war ein Beispiel dafür, daß wir uns in unseren Vorstandssitzungen häufig mit Dingen befassen mußten, weil sich der große Dr. Hennemann durchsetzen wollte – koste es was es wolle.
War das Ihrer Meinung nach sein größter Fehler?
Sein größter Fehler war, daß er Politik mit Wirtschaft verwechselt hat. Jetzt weiß ich ja, warum. Ihm war gesagt worden, er solle an das Wohl des Landes Bremen denken. Was sollte der arme Mann denn anderes machen. Wenn ihm auf der anderen Seite Druck gemacht worden und ihm gesagt worden ist: „Du kannst doch das Land Bremen nicht vergessen“.
Hennemann hat es nach Ihren Angaben immer wieder geschafft, vom Land Geld zu bekommen?
Ja, das hat er.
Sie haben gesagt, die Banken und das Land hätten von der Misere des Vulkans gewußt. Trotzdem hätten sie immer wieder Geld zugeschossen und stillgehalten.
Mehr kann ich auch jetzt nicht sagen. Die Banken und das Land waren in allen Aufsichtsräten vertreten. Ob sie von der Misere gewußt haben, weiß ich nicht. Sie hätten es aber wissen können, wenn sie die Papiere gelesen hätten. Es waren mehrmals im Jahr Aufsichtsratssitzungen, und da sind die Zahlen auf den Tisch gelegt worden. Was die daraus gemacht haben, müssen Sie die Banken fragen.
Und wie hat das Land Einfluß genommen?
Hauptsächlich durch den Aufsichtsrat – und zwar vertreten durch die Aufsichtsratsmitglieder des Landes. Im großen und ganzen war das wohl der damalige Finanzsenator Grobecker. Und davor war Hennemann ja auch im Aufsichtsrat. Der Einfluß des Landes war immer groß – von Anfang an. Als das Aufsichtsratsmitglied Hennemann in den Vorstand wechselte, dachte man, der Druck würde etwas nachlassen. Aber Hennemann handelte ja im Namen des Landes weiter – wie ich im Untersuchungsausschuß lernen mußte. Ich lese Ihnen jetzt mal aus dem Buch vor, das ich vorhin schon erwähnt habe: „Der Niedergang und Konkurs des Bremer Vulkans hat viele Schuldige, und alle waren im Aufsichtsrat vertreten. Acht Jahre konnte der Vorstandschef, der das Spiel mit Politik und Gewerkschaft beherrschte, fast uneingeschränkt regieren.“
Im Untersuchungsausschuß haben Sie gesagt, die Einflußnahme des Landes und damit auch die von Hennemann habe aber schon viel früher, nämlich kurz nach der AG-Weser-Pleite, begonnen, als ein kleiner Verbund zwischen dem Vulkan und der Lloyd-Reederei geschlossen werden sollte.
Stimmt. Das Land saß damals mit am Tisch und wurde durch die Ressorts Wirtschaft und Finanzen vertreten, also durch Grobecker (ex-Finanzseantor, SPD) und durch Hennemann, der Senatsdirektor war.
Das heißt, Hennemann und Grobecker haben damals den kleinen Verbund gebastelt, und Hennemann hat sich dann später auf den Vorstandsstuhl gesetzt?
Das kann man so sagen.
Sie hätten selbst gerne den Stuhl des Vorstandsvorsitzenden gehabt. Kritisieren Sie Hennemann heute vielleicht so scharf, weil Sie damals den Kürzeren gezogen haben?
Das können Sie gerne so sagen, das geht aber an den Tatsachen vorbei. Wie und warum Herr Hennemann an den Job gekommen ist, müssen Sie Herrn Dr. Scheider fragen. Der war damals Aufsichtsratsvorsitzender. Es ist gesagt worden, daß jemand gebraucht würde, der die politische Seite gut abdeckt. Hennemann sei der prädestinierte Mann. Das war die offizielle Begründung. Inoffizielle wissen wir ja heute, warum das damals so gelaufen ist.
Lassen Sie uns von der Vorstandsetage hinabsteigen in die Werkshallen des Vulkans. Sie haben darüber geklagt, daß unmöglich gewesen sei, den Beschäftigten „die positive Einstellung zu vermitteln, daß man für sein Geld auch arbeiten muß“. Von 7,5 Stunden seien effektiv nur sechs bis 6,5 Stunden gearbeitet worden. Das sei auch ein Grund dafür gewesen, daß der Vulkan in punkto Produktivität im Vergleich zu anderen Werften fünf bis zehn Prozent schlechter gewesen sei.
Das stimmt. Als ich einmal durch die Halle ging, saßen die Schweißer ohne Arbeit da. Als ich sie fragte, habt ihr nichts zu tun, bekam ich die Antwort, sie hätten ihren Akkord erfüllt. Ich bin ins Akkordbüro gegangen bin um zu sehen, ob man die Akkordsätze nicht heruntersetzen könnte. Hennemann hat mich zurückgepfiffen. Der hat gesagt: „Nun bring hier mal nicht so eine Unruhe rein. So rettest Du das Unternehmen auch nicht.“ Arbeitsplatzsiche-rung ging immer vor wirtschaftliche Betrachtungen.
Normalerweise ist es ja so, daß man sich mit dem Betriebsrat so arrangiert. Irgendwelche Kämpfe gibt es immer. Man muß halt versuchen, im Spannungsfeld des Betriebsrates und des Vorstandes zu vermitteln. Doch auch wenn diese Interessen unterschiedlich sind, kann man vernünftig zusammenarbeiten. Wenn man geschickt verhandelt, sind beide Seiten auch zu Kompromissen bereit, um das Unternehmen in eine Bahn zu lenken, auf der es überleben kann. Aber beim Vulkan war das schlicht und einfach nicht möglich.
Und erst heute weiß ich erst warum: Weil Hennemann einen Vertrag mit der Stadt Bremen hatte, in dem drinstand, daß er für das Land auch Sorge zu tragen hat. Das ist eine Sache, die uns ja überhaupt nicht bekannt war. Ich finde diesen Passus sagenhaft oder wie heißt es so schön: „bemerkenswert“.
Der Vulkan – ein Staatsbetrieb?
Das ist natürlich ein hartes Wort. Aber es hat wohl seine Berechtigung.
Fragen: Kerstin Schneider
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