: Die Obsessionen des Alters
Bekannte Namen, vermischte Stile: Spätwerke von Picasso, de Kooning, Guston und Miró im Neuen Museum Weserburg, Bremen ■ Von Friedwart Maria Rudel
Alte Meister, alles bekannt. So denkt man unwillkürlich bei der Ausstellung „Picasso, Guston, Miró, de Kooning“, die im Neuen Museum Weserburg, Bremen, gezeigt wird. Doch halt! Tatsächlich werden hier einmal nicht die kunsthistorischen Schubladen vorgeführt, die man von solchen Namen gewöhnt ist. Vielmehr geht es um das Spätwerk von vier Künstlern, die sich allesamt am Ende ihres Lebens von ihrer bisherigen Maltradition verabschiedeten, um endlich „in vollkommener Freiheit“ – so der Untertitel der Ausstellung – und ohne Rücksicht auf die Erwartungen ihres Publikums zu malen. Oder, wie Picasso seinen Bruch mit dem Gewohnten kommentiert: „Die Malerei ist stärker als ich, sie macht mit mir, was sie will.“
Was die Malerei vom Künstler will, ist, ihn obsessiv an das Thema Sexualität zu binden, in immer neuen Variationen von Aktbildern und Darstellungen ineinander verstrickter Paare. Dies freilich weniger aus der Haltung eines von seiner Obsession wirklich Eingenommenen, als vielmehr aus der eines seltsam distanzierten, unbeteiligten Voyeurs. So jedenfalls sieht Kuratorin Maria de Corral das von ihr zusammengetragene Spätwerk Picassos. „Diese Werke“, erklärt sie, „sprechen nicht wirklich von der Sexualität, sondern vom Fehlen derselben, von ihrem Scheitern.“ Aber, entschärft die in Barcelona und Madrid für die Sammlung der „Caixa“ zuständige Ausstellungsmacherin die vermeintlich resignative Tendenz einer solchen Verortung: „Wenn wir Spanier über unser Scheitern sprechen, tun wir dies mit großer Ironie.“
In der Tat: Ironie ist es, von der Picassos distanzierte Haltung lebt. Seine erotischen Spätwerke sind in ihrer bewußt unfertigen, mit der Ästhetik des Häßlichen spielenden Machart grandiose Grotesken, die wirken, als seien sie einem Dadaismus entsprungen.
Wie Picasso gibt sich auch der späte de Kooning „dem Verlangen hin, die Werke sich selbst strukturieren zu lassen“, so Dan Cameron im lobenswert sorgfältig gemachten Katalog. Der einstige Vertreter des abstrakten Expressionismus wird in Bremen als Meister der körperlosen Kontur präsentiert, der mit reduzierter, surrealistisch anmutender Strichführung auf der Leere der Leinwand gerade durch das Fehlen von Information eine besonders starke Suggestivkraft erzeugt. Der Effekt: „Das visuelle Wahrnehmungsvermögen des Betrachters bemüht sich daher, das Fehlende in geistiger Schau zu ergänzen, und seine Phantasie fängt an, ihm mittels der eigentümlichen Aspekte von de Koonings leeren Räumen Streiche zu spielen: Bald erhascht er den Eindruck von Figuren, Hügeln, Wolken und Tieren, bald verschwinden sie wieder in dem Weiß, so rasch wie sie auftauchen“ (Cameron).
Den Gegenpol zu diesem Rückzug auf die Leere der Leinwand und das reduktionistische Spiel mit der Farbe Weiß bilden Philip Gustons Gemälde. Ebenfalls Vertreter der New Yorker Schule des abstrakten Expressionismus, gibt er sich zuletzt einer figürlichen Malerei hin, die im Unterschied zu de Koonings angstloser Helle in ihrer Farbigkeit immer düsterer wird. Seine Bilder „Black Sea“, „Ravine“ oder „Flame“ wirken wie bedrohliche Metaphern einer vom Tod bedrängten Existenz. Die absurde Gegenständlichkeit, mit der er Szenarien von beckettscher Manier entwirft, macht Guston – der übrigens noch nie zuvor in Deutschland ausgestellt wurde – zu dem am schwersten verständlichen und gleichzeitig konsequentesten Vertreter jener späten Freiheit, um die es der Bremer Ausstellung geht. Im Gegensatz zu ihm wirkt Mirós Bruch mit der eigenen Maltradition geradezu harmlos unspektakulär. Die von ihm gewohnten Chiffren sind an allen Ecken wiederzuerkennen, auch wenn seine zeitweilige Konzentration auf großflächige, archaisch-kontemplative Schwarzweißgemälde sicher zum Beeindruckendsten gehört, was man von ihm je gesehen hat.
Insgesamt vermittelt die Bremer Ausstellung – die trotz Anfragen aus Paris, London, Spanien und den USA nur hier zu sehen sein wird – einen überaus sehenswerten Beleg dafür, daß „klassische“ Künstler durchaus aktuell sein können. Besonders interessant an der Schau ist nämlich, daß sie mitten in ein Museum gehängt wurde, das sich ausdrücklich als Ort für zeitgenössische Kunst versteht. Gerade der Vergleich mit den anderen Werken dieses größten deutschen Museums seiner Art, dessen Bestände ausschließlich von privaten Sammlungen gestellt wurden, zeigt, daß „Zeitgenossenschaft nicht nur biographisch verstanden werden kann, sondern auch als werkimmanenter Aspekt, unabhängig von der Frage nach dem Alter“, so Museumsdirektor Deecke.
Belege für diese These entdeckt man beim Gang durch das gut bestückte Haus immer wieder. Etwa vor Gerhard Richters Gemälden, in deren über den Bildraum hinausweisender Strichführung man deutliche Anklänge an de Kooning erkennt. Noch weiter geht die Übereinstimmung wohl bei Armando, dessen reduktionistische schwarze „Fahne“ auf weißem Grund sich geradezu nahtlos in Mirós Schwarzweißserie einreihen ließe, während Penck in einem solchen Vergleich beinahe wirkt, als seien seine Werke einem Meisterschülerdasein zwischen Miró und de Kooning entsprungen. So lassen sich von „Picasso, Guston, Miró, de Kooning“ durchaus Korrespondenzen mit Zeitgenossen wie Baselitz und Graubner, A.D. Christian oder Felix Droese erkennen, was Kuratorin Corral zu dem selbstbewußten Statement veranlaßte: „Nach dieser Ausstellung wird man auch die hier versammelten Künstler besser verstehen.“
„Picasso, Guston, Miró, de Kooning – In vollkommener Freiheit“, bis 7. Februar 1997, Neues Museum Weserburg, Bremen. Katalog: 200 Seiten, 65 Abbildungen, Hirmer-Verlag, 49 DM
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