: Seehofers Kürzungen für Kranke
10 Milliarden Miese — das erwarten die Krankenkassen für 1996. Bis jetzt sind sie schon bei knapp 7 Milliarden angelangt. Grund genug für Gesundheitsminister Horst Seehofer, jetzt Ernst zu machen mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform. „Gesundheitsreform? Welche Gesundheitsreform?“ fragt Klaus Kirschner, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD. „Es gibt doch bloß ein Abbruchprogramm mit einem solchen Namen.“ Dieses Abbruchprogramm ist in zwei Gesetze gegliedert, die ursprünglich der Zustimmung durch den Bundesrat bedurften. Als die SPD signalisierte, daß sie die Entwürfe blockieren werde, kamen die Juristen vom Gesundheitsministerium. Sie formulierten alles ein wenig um — und flugs war die Zustimmungspflicht des Bundesrats hinfällig. Jetzt können die beiden Gesetze mit der Kanzlermehrheit durchgebracht werden. 1997 sollen allein im Bereich Kuren und Rehabilitation sollen 2,73 Milliarden Mark eingespart werden. Kuren sollen von vier auf drei Wochen gekürzt, der Mindestabstand zwischen zwei Kuren von drei auf vier Jahre erhöht werden. Im Westen sollen die Patienten täglich 25 Mark (bisher 12 Mark) dazubezahlen, im Osten 20 Mark statt 9 Mark. Außerdem können die Arbeitgeber in Zukunft pro Kurwoche zwei Urlaubstage anrechnen. Neben den Kuren gehören auch die Krankenpflege zu Hause, Heilmittel (mit Ausnahme der ambulanten Rehabilitation nach Operationen), Fahrkosten (außer Nottransporten) und Auslandsleistungen (außer EG) zu den sogenannten Gestaltungsleistungen. Dahinter verbergen sich bisher gesetzliche Leistungen, über die künftig von den Krankenkassen frei verfügt werden kann. Das heißt: Eine Kasse kann selbst entscheiden, ob sie Kuren oder Hilfsmittel (etwa Verbände, Injektionen, Infusionen, Katheter usw.) in ihren Leistungskatalog aufnehmen will oder nicht. Wenn eine Kasse nun Gestaltungsleistungen zu vergleichsweise günstigen Tarifen anbieten sollte, werden viele Versicherte zu dieser Kasse wechseln. Ergebnis: höhere Kosten, die über die günstigen Beiträge nicht mehr finanziert werden könnten. Der Weg geht also zu Krankenkassen mit umfangreichem Angebot zu hohen Beitragssätzen und Kassen mit geringem Angebot bei geringem Beitrag. Der Unterschied zu den Privaten fällt kaum noch auf. Thomas Schwennesen vom Deutschen Neurodermitiker-Bund hält diese Pläne für eine „Riesen- Sauerei.“ Die chronisch Kranken, die auf die Gestaltungsleistungen angewiesen seien, müßten dazubezahlen. Die Reform sei ein „Schlag gegen die kranken Menschen in der Gesellschaft“. Die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken werde aufgelöst. Kritik auch von unerwarteter Seite: Arbeitsminister Blüm fürchtet, daß durch die Neuregelungen die Pflegeversicherung ausgehöhlt wird. Florian Gless
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen