: Freie Träger und Ärzte sind verunsichert
■ Gesundheitsvorsorge wird ab Januar 97 nicht mehr von Krankenkassen finanziert
Die von Bundesgesundheitsminister Seehofer vorangetriebene Gesundheitsreform verunsichert nicht nur die Patienten, sondern auch die Anbieter von präventiven Gesundheitsmaßnahmen. Denn ab Januar 1997 können Angebote zur Gesundheitsvorsorge nicht mehr über die Krankenkassen abgerechnet werden. Vor allem bei den freien Tägern ist noch völlig offen, wie ihre Kurse in Zukunft abgerechnet werden können.
„Nach langer Vorarbeit ist die Nachfrage in diesem Bereich erst in den letzten zwei Jahren gewachsen“, ärgert sich Edel Exel, Mitarbeiterin bei denkste e.V. Schon seit 1984 bietet denkste Kurse zur Gesundheitsförderung an. Von Yoga über Atemtraining, Feldenkrais, Shiatsu bis zur Fußreflexzonenmassage konnten Kursteilnehmer ihr Wissen in der persönlichen Gesundheitsvorsorge erweitern – und die Kurse wurden bis zu hundert Prozent von den jeweiligen Krankenkassen bezahlt.
„Wir befürchten jetzt erst mal einen Einbruch bei der Kursnachfrage“, so Exel. Andererseits sieht sie aber auch neue Chancen: Da die Kunden in Zukunft selber zahlen müssen, würden sie sich nun genauer überlegen, welche Kurse sie belegen. Exel glaubt deshalb, daß die Abbrecherquote sinken wird. Und in den Bereichen, in denen die Krankenkassen bisher eigene Angebote machen konnten, hofft Exel sogar auf eine stärkere Nachfrage bei den freien Trägern. „Die Leute werden sich einfach erinnern, daß ihnen unsere Kurse gutgetan haben“, meint Exel.
Weiterreichende Konsequenzen hätte die dritte Stufe der Gesundheitsreform, die allerdings noch nicht verabschiedet ist. Nach den derzeit vorliegenden Plänen sollen die Leistungen aller sogenannten Heilmittelerbringer, wie der Logopäden, der Ergo- und und Physiotherapeuten, aus dem Leistungsbereich der Krankenkassen gestrichen werden. Den Kassen bliebe es dann selbst überlassen, ob sie in diesen Bereichen die Kosten übernehmen oder nicht. Durch den neuen Konkurrenzdruck unter den Kassen ist aber schon jetzt absehbar, daß der erweiterte Gestaltungsbereich überwiegend zum Sparbereich bei den Kassen werden wird.
Die Berliner Logopädin Doris Patula befürchtet schlimmste Auswirkungen für ihren Berufszweig. Dabei habe die Zahl sprachgestörter Kinder und Erwachsener in den letzten Jahren in den Industrieländern allgemein zugenommen, berichtet die Logopädin – vermutlich als Folge des durch Fernsehen und Computer geänderten Kommunikationsverhaltens. Eine Sprachtherapie sei daher bei vielen Kindern zur Voraussetzung für den Besuch einer Regelschule geworden. Patula befürchtet nun, daß aufgrund der Kürzungen mehr Kinder an Sonderschulen abgeschoben werden.
„Wer sich verbal nicht äußern kann, wird verstärkt handgreiflich“, weiß Patula aus ihrer praktischen Arbeit. Erwachsene mit Sprachstörungen würden sich hingegen eher zurückziehen. Die Logopädin befürchtet, daß in Zukunft eine langfristige Betreuung erwachsener Patienten für viele nicht mehr bezahlbar sei. Nach Unfällen wäre eine Erstbehandlung zwar nach wie vor abgesichert, aber ohne anschließende Therapie würden viele „nicht mehr in die Sprache zurückfinden“.
Bei ihren Patienten trifft die Logopädin zunehmend auch auf Stimmstörungen, die ohne Behandlung chronisch werden können. Gerade bei der wachsenden Zahl der Sprachberufler führe dies nicht selten bis zur Berufsunfähigkeit.
Besonders absurd sei es, daß erst mit der ersten Stufe der Gesundheitsreform viele Behandlungsarten aus dem Katalog der abrechenbaren Krankenhausaufenthalte gestrichen wurden. Die Begründung damals: die gute ambulante Versorgung. Die aber, ärgert sich Patula, werde nun zusammengestrichen. Gereon Asmuth
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