■ Morgen ist Telekom-Aktien-Tag: Letzte Anlageberatung: Merkregeln für den kleinen Aktionär
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Nur noch ein zweistelliger Stundenbetrag wird von unserem Lebenszeitkonto abgebucht, dann geht das vorlauteste Sprachverarbeitungsunternehmen der Welt, die Deutsche Telekom, an die Börse. An welche? An unsere.
Ab morgen haben alle solventen Kleinbürger und Kleinstlebewesen die einmalige Möglichkeit, nun auch noch Kleinanleger bei der Post zu werden. Jeder kann mitmachen. Allen künftigen Aktienbesitzern wird ein regelmäßiges Kleineinkommen zugesichert. Die Welt der Aktionäre ist jedoch zunächst eine unübersichtliche. Deshalb sind, bevor es endgültig und unwiderruflich zum „E-Day“ (Emissionstag) für die „T-Aktien“ (Telefonaktie) kommt, folgende „M-Regeln“ (Merkregeln) genauestens zu beachten.
Wer zusammen mit Ron Sommer und anderen Graumarktexistenzen ganz schnell reich werden will, muß wie diese ein eigenes Telefon („T-Phone“), ein gut gefülltes Portofolio („T-Book“), gute Beziehungen („Vitamin T“) und das kleine Börsenlatinum haben und beherrschen; das große wäre noch besser, denn alles, was man früher auf der Kleinsparerschule gelernt hat, heißt jetzt anders: Zinsen heißen Dividende, Geldbörse heißt Depot und bewaffneter oder unbewaffneter Banküberfall nur noch „schwarzer Freitag“.
Nur wer sich rechtzeitig registrieren ließ (Volkszählung), bekommt auch Aktien zugeteilt. Wer zufällig welche abkriegt, wird morgen früh von einem „B-Boy“ (Broker) per Handy angerufen, erfährt die Geldmenge, die er gerade verloren hat, und kann seine Wertpapiere dann im nächstgelegenen „P-Amt“ abholen.
Die Ausgabe erfolgt in großen Bögen zu hundert Stücken („Stückelung“). Wenn die Nachfrage stimmt, soll es bald auch Sonderaktien mit Blumen drauf geben oder mit Fotos von Behinderten, die in Atlanta gut abgeschnitten haben. Die jeweils benötigte „Tranche“ hingegen ist nicht abzuschneiden, sondern sorgfältig entlang der Perforationslinien abzutrennen.
Sammlern wird empfohlen, die deutschen T-Aktien im Album zwischen die belgischen (mit Kinderbildern) und die englischen (alte Frau vorne drauf) zu pappen. Sie sind dann bei eventuell anstehenden Panikverkäufen schneller zu finden.
Die Aktie ist billig, geradezu ein Schnäppchen. Der Emissionspreis pro Standardaktie beträgt entgegen anderslautenden Gerüchten rund eine Mark. Etwa doppelt so teuer kommt die „Kompaktaktie“, die bis zu 50 Gramm wiegen darf. Sollte sie sich durchsetzen, ist außerdem die Schaffung einer „Maxiaktie“ zu vier Mark geplant. Deren hohes Gewicht (bis zu 1.000 Gramm) ist allerdings nichts mehr für Kleinanleger.
Um das Anlegerrisiko zu mindern, ist die „T-Aktie“ hinten mit einer speziellen Gummierungsschicht überzogen: einfach abschlecken und aufdrücken, so kann nichts mehr runterfallen, plötzliche Kursstürze sind praktisch ausgeschlossen.
Wer aus Versehen zuwenig Aktien bestellt hat, muß eventuell sogenannte Strafaktien nachlösen. Dafür wurden von Ron Sommer kurzfristig und aus eigener Tasche noch einmal 100 Millionen zusätzliche Aktien bereitgestellt.
Wie das mit der Dividende genau gehen soll, steht aber noch nicht fest. Die Gewinne werden regelmäßig durch eigens dafür ausgebildete Gewinnzusteller mit Schiebewägelchen, Mütze und dreistündiger Verspätung an den Anleger gebracht. Die Ausschüttung erfolgt meistens heute, jedoch nicht vor 16 Uhr.
Noch besser dran ist man, wie immer, mit ISDN. Diese Anlageform ist zwar kostspieliger, dafür kann man aber auch mehr ausgeschüttet kriegen als der nichtdigitalisierte Normalanleger. Die Dividende wird börsentäglich in bar zugefaxt und kann in jeder Telekom- Filiale („T-Punkt“) gegen interessante Ortsgespräche mit anderen Leuten eingelöst werden. Ferngespräche sind wahrscheinlich etwas teurer, dafür kostet aber Verwählen nichts mehr.
Ob die neue Telekom-Aktie auch an den Dax gekoppelt wird, steht noch nicht fest. Finanzexperten befürworten zunächst nur eine Kopplung an die Leitwährung („D-Mark“), zumindest so lange, bis man weiß, ob 1 Dax überhaupt etwas wert ist, was andere vielleicht haben wollen. Oliver Schmitt
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