piwik no script img

Die schmutzigen Geschäfte der Tansu Çiller

Attentate im Staatsauftrag, Heroinhandel, Mord und Erpressung – all das wird einer kriminellen Organisation in der Türkei vorgeworfen. Mutmaßlicher Kopf der Bande: die konservative Außenministerin Tansu Çiller  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Aus der ganzen Türkei zogen am Wochenende Mitglieder der linkssozialistischen Partei „Freiheit und Solidarität“ mit Autokonvois in die Hauptstadt Ankara. „Entweder wird Rechenschaft abgelegt, oder sie werden weggefegt!“ hieß das Motto des Protestes. Das Motto der Linken kam an. Seit vor zwei Wochen bei einem Verkehrsunfall der seit siebzehn Jahren gesuchte faschistische Attentäter Abdullah Catli, der hohe Polizeifunktionär Hüseyin Kocadag und der Abgeordnete Sedat Bucak, ein Parteifreund von Außenministerin Tansu Çiller, im gleichen Fahrzeug verunglückten, werden tagtäglich neue Informationen enthüllt, die das enge Beisammensein von Unterwelt, Politik und Mafia belegen. Der „staatlichen Bande“, wie die türkischen Medien schreiben, werden Morde, Erpressung, Heroingeschäfte vorgeworfen.

Der Vorsitzende der „Arbeiterpartei“ Dogu Perincek hatte schon vor dem Verkehrsunfall in der Zeitschrift Aydinlik einen Bericht des türkischen Geheimdienstes MIT veröffentlicht. Viele seiner Behauptungen, etwa, daß der Attentäter Catli einen auf den Namen Mehmet Özbay ausgestellten Polizeiausweis und Diplomatenpaß besaß und mit Polizeifunktionär Kocadag und dem Abgeordneten Bucak zusammenarbeitete, sind durch den Unfall bewiesen. Heute geht Perincek soweit, daß er Außenministerin Tansu Çiller und ihrem Ehemann Özer Çiller vorwirft, zehn Zeugen, die um kriminelle Machenschaften der Familie Çiller wußten, durch Killerkommandos aus dem Weg geräümt zu haben. Unter den Opfern findet sich etwa der Unterweltboß Ömer Lüftü Topal, der „König der Spielcasinos“ – er wurde im Juli dieses Jahres ermordet.

Doch nicht nur Außenseiter Perincek, der stets über gute Drähte zum Geheimdienst verfügte, ist beunruhigt. „Angesichts der Verhältnisse muß jeder Türke Angst um Leib und Leben haben“, sagte Oppositionsführer Mesut Yilmaz jüngst in einem Fernsehinterview. Yilmaz gestand, daß er über die Videoaufnahme eines polizeilichen Verhörs verfügt, in welchem die Mörder Topals die Tat gestehen. Doch nach zwei Tagen seien die drei geständigen Täter freigelassen worden und als „Sicherheitsbeamte“ dem Dienst des Abgeordneten Sedat Bucak unterstellt worden. Vergebens bat der rechtskonservative Politiker Yilmaz, der sich stets ein staatstreues Image gibt, den Staatspräsidenten Süleyman Demirel zu intervenieren.

Erschreckendes ist nach dem Verkehrsunfall zu Tage getreten. Der wegen mehrfachen Mordes, Heroin- und Waffenschmuggels in Europa und der Türkei gesuchte Abdullah Catli, in den siebziger Jahren ein Militanter der faschistischen „Grauen Wölfe“, lebte in der Türkei wie ein König. Ausgestattet mit einem Ausweis als „Polizeiexperte“, Waffenschein und Diplomatenpaß. Als Heimataddresse im Polizeiausweis ist eine Istanbuler Polizeiwache angegeben. In dem verunglückten Mercedes 600 fanden die verdutzten Gendarmen sieben Schußwaffen – High-Tech-Waffen mit Schalldämpfern, wie sie bei Attentaten benutzt werden. In der Jackentasche Catlis, der hinten im Wagen saß, fand sich ein bißchen Kokain. Neben ihm saß die Schönheitskönigin Gonca Uz, auch sie starb. Polizeioffizier Kocadag fuhr den Benz, der Abgeordnete Bucak saß auf dem Beifahrersitz. Eskortiert wurde die Limousine von zwei Fahrzeugen voller Bodyguards.

Vor dem Unfall nahe der Stadt Susurluk in der Westtürkei hatten die vier das Wochenende in einem Luxushotel im touristischen Kusadasi verbracht. Nicht nur zu Vergnügungszwecken: Bei Immobilienmaklern wurden Grundstücke gesichtet. Und zum gleichen Zeitpunkt hielt sich auch der mittlerweile zurückgetretene Innenminister Mehmet Agar in dem Hotel auf. Catli war eben kein kleiner Fisch. Polizist Kocadag hatte noch kurz vor dem Unfall einigen Abgeordneten anvertraut, Catli gehe in Ministerien und im Amt des Ministerpräsidenten ein und aus.

Gestützt auf den vor dem Unfall publizierten Geheimdienstbericht, verbreiten türkische Medien ein Schreckenszenerio. Catli, der Killer, war ausführendes Glied einer kriminellen Organisation, die von Innenminister Mehmet Agar und Außenministerin Tansu Çiller angeleitet wurde. Die Organisation erledigte nicht nur die dreckigen Geschäfte des Staates. Auch vor Mord und Erpressung zum eigenen Vorteil schreckte sie nicht zurück.

Die „kriminelle Bande“ sei als Alternative zum türkischen Geheimdienst gegründet worden und habe sich neben dem Heroingeschäft aus Mitteln des Geheimfonds von der damaligen Ministerpräsidentin Tansu Çiller gespeist. Mit dem Ende Çillers als Ministerpräsidentin und ihrem Wechsel ins Außenministerium seien die Quellen aus dem Geheimfonds versiegt. So habe sich die Bande den Spielcasinos als Finanzierungsquelle zugewandt – und durch Drohung und Mord die traditionelle Spielhöllenmafia verdrängt. Das jüngste Gesetz der Regierung, die bestehenden Casinos zu reglementieren und geographisch exakt abgegrenzte Gebiete den Luxuscasinos zuzuweisen, erleichterte das Spiel. Kusadasi war als eines dieser Zentren im Gespräch. Hauptspekulanten in Kusadasi sind Außenministerin Tansu Çiller und Ehegatte Özer.

Das Heroingeschäft – 80 Prozent des europäischen Marktes sollen europäischen Polizeiexperten zufolge die Türkei passieren – sei das andere Standbein der „staatlichen Bande“. In den vergangenen Jahren wurden die Größen der kurdischen Mafia, die ein bürgerliches Dasein als Großunternehmer führten, Opfer einer professionellen Killertruppe. Die Indizien sprechen zumindest dafür, daß eine von Ex-Minister Agar angeführte Mafia im Zusammenspiel mit den faschistischen Mordkommandos Catlis an die Stelle der alten getreten ist.

Auch der derzeit in einem holländischen Gefängnis einsitzende Rauschgiftdealer Hüseyin Baybasin, ein intimer Kenner des türkischen Polizeiapparates, der mittlerweile ausgepackt hat, belastet Agar schwer. „Tonnenweise haben Mehmet Agar und seine Verwandten Yunus Agar und Yalcin Akcadag mit den Öltankern ihrer Firma Rauschgift geschmuggelt.“

Trotz des gewaltigen Belastungsmaterials, das in den Medien veröffentlicht wurde, besteht kaum Aussicht auf Aufklärung und darauf, daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan schweigt sich aus – er kann nur in Koalition mit Çiller regieren. Çiller ihrerseits erklärte, daß sie zwar den Rücktritt von Innenminister Agar gefordert hatte – früher hatte sie Agar mehrfach wegen seiner „Verdienste im Kampf gegen den Terrorismus“ gelobt. Aber der Rücktritt habe nichts mit dem Verkehrsunfall zu tun. An Agars Stelle machte Çiller die ihr treu ergebene Meral Aksener zur neuen Innenministerin.

Der Untersuchungsausschuß des türkischen Parlamentes wird auch kaum Erfolg bei seiner Arbeit haben – ganz zu schweigen von den Staatsanwälten des Staatssicherheitsgerichtes, die von der Verwaltung abhängig sind. Die Kompetenzen sind beschnitten. Der Untersuchungsausschuß darf über „Staatsgeheimnisse“ und „geschäftliche Geheimnisse“ keine Nachforschungen anstellen.

Doch genau darum geht es. „Ich habe über tausend geheime Operationen geleitet. Wie kann ich darüber berichten?“ verteidigt sich Ex-Minister Agar und beklagt sich darüber, daß Informanten auspacken: „Ein Mann, der für den Staat arbeitet, nimmt seine Geheimnisse ins Grab mit und verpfeift nicht.“

Der Abgeordnete Sedat Bucak, der einzige Überlebende des Verkehrsunfalls – auch er wurde im Krankenhaus in Istanbul von Çiller als „Held gegen den Terrorismus“ gefeiert –, wird sich ganz sicher an Agars Empfehlung halten. Rund 200 bewaffnete Männer schirmten den kurdischen Stammesführer Tag und Nacht in der Istanbuler Uni-Klinik ab. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag entschwand er durch die Hintertür, während seine Männer auf Journalisten und Kameraleute einschlugen. „Wollt ihr unbedingt sagen: Journalist ermordet“, droht ein Bewaffneter in die Fernsehkamera. Aber von Bucak wird ohnehin nichts zu erfahren sein. Er leide an Amnesie, ließ sein Arzt mitteilen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen