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Der Geschichte ein Stück voraus

■ Gesichter der Großstadt: Professorin Barbara Schaeffer-Hegel arbeitet seit 24 Jahren in der Frauenforschung. Wie wenige Wissenschaftlerinnen verknüpft sie Theorie und Praxis

Eigentlich kann sich Barbara Schaeffer-Hegel mit vielem arrangieren, aber mit Fotos von sich tut sie sich schwer. „Weil ich immer so starr wirke“, sagt sie. Wer der Professorin für Erziehungswissenschaften begegnet, wird schnell feststellen, wie schwer es sein muß, diese Frau auf Zelluloid zu bannen. Ihre Gesichtszüge sind ständig in Bewegung, und nicht zuletzt der ganze Mensch: Kaum kommt sie ins Zimmer gefegt, ist sie auch schon wieder draußen, um Tee für die Gäste zu kochen, kommt wieder rein, drückt jedem ein Exemplar ihrer letzten Veröffentlichung in die Hand und beginnt schließlich zu erzählen. Wie ein frischer Quell sprudelt ihre Lebensgeschichte in den Raum. In den Regalen stapeln sich Bücher über Frauen, Kindheit, Macht und Staat bis zur Decke; Themen, denen Schaeffer- Hegel ihr Leben gewidmet hat.

Geboren in Kassel, aufgewachsen bei Stuttgart, ist die junge Frau Barbara Schaeffer von drei Dingen fasziniert: erstens von der Liebe zu einem Mann, zweitens von deren Scheitern und drittens von der Welt der Wissenschaft. Jahrelang vergräbt sie sich in Büchern über Philosophie und Politik und begreift dies als selbstverordnete Therapie, um über Weltschmerz und Liebeskummer hinwegzukommen. Ihrem Interesse an philosophischen Themen gemäß studiert sie Politikwissenschaft, Geschichte, Philosophie und Romanistik auf Lehramt. Lehrerin will sie nicht werden, das steht von Anfang an fest. Die Lehrerfortbildung ist ihr Ziel.

Sie heiratet, bekommt ein Kind und merkt plötzlich, daß in ihrer Beziehung etwas nicht stimmt. Vier Jahre später verläßt sie ihren Mann, ein Skandal, der zu schweren Konflikten mit den eigenen Eltern und Geschwistern führt. „Meine Geschichte kam zehn Jahre zu früh“, sagt sie heute, 1964 war das Thema Scheidung noch ein Tabu. Alleinerziehend mit zwei Kindern – neben dem eigenen hat Schaeffer noch eines adoptiert – arbeitet sie als Assistentin an der Hochschule in Münster und bekommt zu spüren, wie wenig akzeptiert ihr sozialer Status ist. „Das hat mich für Frauenthemen sensibilisiert“, sagt Schaeffer-Hegel heute.

Heftige Diskussionen an der Hochschule und die Politisierung durch die 68er Bewegung verhelfen ihr zu neuem Selbstbewußtsein. Frauenthemen sind zusammen mit der Lehrerfortbildung von nun an Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Arbeit.

Als Professorin geht sie im Jahr 1972 an die Pädagogische Hochschule in Berlin und lebt dort weiter in einem Dilemma, das sie später im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Arbeit unter die Lupe nehmen wird: der Spagat zwischen Beruf und Familie. Die Arbeit mit den StudentInnen ist ihr äußerst wichtig. Mit Themen wie „Sexismus im Unterricht“ und das „Frauenbild im Schulbuch“, versucht sie die späteren LehrerInnen für Frauenthemen zu sensibilisieren. Als sie sich auf der Höhe der studentischen Protestwelle 1974 jedoch von ihren StudentInnen sagen lassen muß, daß alle Profs Klassenfeinde seien, ist sie zutiefst gekränkt und geht auf Distanz. Wie es der Zufall will, lernt sie zu dieser Zeit ihren zweiten Mann kennen und zieht sich ins Private zurück.

Sie bekommt das dritte Kind, ein viertes wird wenig später adoptiert. Doch für die Professorin ist dies kein Grund, ihren Beruf an den Nagel zu hängen. Im Gegenteil: Die Schwierigkeiten von Frauen, gleichzeitig Mütter, Berufstätige und BeziehungspartnerInnen zu sein, wird für Schaeffer-Hegel ein unerschöpfliches Thema. „Das ideale Modell Mutter–Kinder ist noch nicht gefunden“, sagt sie. „Solange sich Männer nicht gleichermaßen an Erziehung und Hausarbeit beteiligen, werden Frauen immer mehr belastet sein.“

Da die Möglichkeit, auf internationale Kongresse zu fahren, durch die Kinder fast unmöglich geworden ist, macht die Frauenforscherin das Beste daraus. „Ich kann nicht auf die Konferenzen, also sollen die Konferenzen zu mir kommen“, ist ihre Konsequenz. Anfang der achtziger Jahre organisiert Schaeffer-Hegel nach ihrem Wechsel an die TU vielbeachtete Symposien und Fachkonferenzen zu Themen wie „Frauen und Macht“, „Mythos Frau“ etc. Veröffentlichungen folgen parallel zur Einrichtung der Arbeitsstelle für Sozialkultur und erziehungswissenschaftliche Frauenforschung an der TU, an deren Entstehung sie maßgeblich beteiligt ist.

Wo immer es geht, versucht Schaeffer-Hegel männliche Kollegen und Studenten in ihre Forschungen einzubeziehen. Von Feministinnen mußte sie sich dafür kritisieren lassen. Zumal manche der Meinung sind, daß Frauenforschung als trockene Wissenschaft nicht besonders nützlich sei. Schaeffer-Hegel ist natürlich anderer Meinung. „Ich habe immer den Mittelweg gesucht“, sagt sie von sich und bekennt sich theoretisch zum Feminismus, nicht jedoch politisch oder moralisch.

Daß Schaeffer-Hegel dennoch nicht um der Theorie willen und auch nicht nur aufgrund eigener Erfahrungen arbeitet, wird an ihren Projekten deutlich. Als 1993 in der rot-grünen Koalition unter Walter Momper (SPD) 1993 etliche Frauen Senatorinnen wurden, schob sie gleich ein Forschungsprojekt an, das den unterschiedlichen Führungsstil von Frauen und Männern untersuchen sollte. Momentan ist sie dabei, eine europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft zu gründen, die der Fortbildung und Vernetzung berufstätiger Frauen dienen soll.

„Frauen neigen dazu, sich gegenseitig zu kritisieren, anstatt sich zu ehren“, sagt sie und erntet nun Lorbeeren, die sie vor einiger Zeit gesät hat. Damals kam sie mit anderen Wissenschaftlerinnen zu der Einsicht, daß Frauen wenig dazu neigen, Vordenkerinnen zu feiern. Nun wurde sie selber geehrt. Am Samstag fand anläßlich des 60. Geburtstags von Schaeffer-Hegel ein Festcolloquium in der Akademie der Wissenschaften statt. Titel: „Mehr Frauen für mehr Demokratie“. Christine Berger

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