■ Kolumne: Die Körperfresser vom Planeten Marketing
Neulich Invasion der Körperfresser gesehen? Der Film war schon oft zu sehen, aber diesmal machte er mich beklommener als die Male zuvor. Er kam mir so realistisch vor, als hätte ich das alles selber erlebt. Die deprimierendsten Erfahrungen machte ich in diesem ansonsten recht angenehmen Jahr, als ich versuchte, einer Nachwuchsband einen Plattenvertrag zu verschaffen. Von der musikalischen Qualität her hat diese Band weltweit kaum Konkurrenz. Voriges Jahr mach-te sie bei einem Indie-Label eine erste Platte, die recht gut lief und von der die Musiker bei Konzerten noch heute erstaunliche Quantitäten absetzen. Jedenfalls gibt es niemanden, der diese Band „ganz gut“ findet – nur desinteressiertes Abwinken oder bedingungslose Verehrung.
Doch das Gefolge dieser Band erwies sich als ausgesprochen heterogener Haufen, der zudem mit dem klassischen Indie-Publikum nur wenig Überschneidungen aufwies. Mein Gedanke war also: Diese Band braucht Öffentlichkeit, muß viele Konzerte geben und vor allem aber viel und in den unterschiedlichsten Programmen im TV und Radio präsent sein. Das kann aber nur eine große Plattenfirma leisten.
Ich glaubte auch im Interesse der Plattenindustrie zu handeln, gab es doch gerade in letzter Zeit häufig Statements aus den höchsten Etagen der Firmen, wie wichtig es sei, neue Talente zu entdecken, und diese Talente auch geduldig und über längere Zeit aufzubauen, daß überhaupt die Kreativen und die Künstler das wichtigste seien usw. Da müßte ich doch mit meinem Angebot offene Türen einrennen, vermutete ich und beschloß, etwas zu tun, was ich nur ungern und unter Schmerzen tue: meine Beziehungen spielen zu lassen.
Ich will jetzt niemanden mit den Details meiner Versuche und den Inhalten der Ablehnungen langweilen, aber ich habe herausgefunden, daß Körperfresser vom Planeten Marketing die deutsche Tonträgerindustrie überfallen und auf ganzer Linie gesiegt haben. Menschen, die sich für Musik interessieren, findet man heutzutage unter Angestellten von Plattenfirmen im Durchschnitt weniger als in jeder anderen Bevölkerungsgruppe. Um dort einen Job zu bekommen, muß man Betriebswirtschaft studiert haben, am besten ein Markenartikler sein, irgendwelche musikalischen Kenntnisse – und sei es nur, daß man in der Lage ist, zwischen den Beatles und Fool's Garden zu unterscheiden – sind eher hinderlich. Wer dort dafür abgestellt wird, neue Acts einzukaufen, steht unter dem Druck, in Jahresfrist mindestens eine Handvoll Hits zu liefern.
Und weil Musikgeschmack in BWL-Seminaren immer noch nicht gelehrt wird, suchen diese Leute dann Dinge, von denen sie wissen, daß sie sich anständig verkaufen: Gruppen, die man mit den zwei Wörtern „so wie“ beschreiben kann. Gruppen, die so wie Portishead, Selig oder Fury In The Slaughterhouse klingen, werden derzeit gern genommen. Und natürlich HipHop auf deutsch und jede Menge Trash-Floor.
In einigen Jahren werden keine Tonträger mehr hergestellt, weil wir uns akustische Aufzeichnungen aus dem Internet holen werden. Die ehemaligen Plattenfirmen werden an Bedeutung verlieren und hauptsächlich Bankgeschäfte tätigen: das Inkasso für alte Rechte betreiben und gegen Beteiligung Geld für Neuproduktionen zur Verfügung stellen.
Die große Kunstverhinderungs-Verschwörung der Mächtigen vom Planeten Marketing hat aber schon ein neues Ziel erkoren: Im Buchhandel soll die Preisbindung fallen. Wäre doch gelacht, wenn man ein Konzept wie „Kuschelrock“ nicht auch auf die Belletristik übersetzen könnte.
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