piwik no script img

Der Himmel kann warten

■ "Sanfte Songs und gute Nachrichten" erst später auf Sendung: Das christliche Boulevardradio "Paradiso" hat seinen Sendestart auf Aschermittwoch verschoben

Die Botschaft, die Matthias Gülzow gestern zu verkünden hatte, war keine frohe: „Wir müssen den Sendestart von Radio Paradiso vom 1. Advent auf den 12. Februar verlegen.“

Drei Gründe macht der designierte Chef vom Dienst für die Entscheidung verantwortlich. 700 Bewerbungen seien für die zehn ausgeschriebenen Redakteursstellen eingegangen, „da dauert die Auswahl eben etwas länger“. Das Mischpult für das Hauptsendestudio sei vom rechten Wege abgekommen, „der Laster der Spedition, der das Mischpult von Holland nach Berlin bringen sollte, wurde geklaut“. Und drittens: „Die Renovierung der Senderräumlichkeiten in der Jugendstilvilla in Wannsee zieht sich hin.“ Dennoch soll das christliche Boulevardradio Paradiso am 12. Februar, am Aschermittwoch, auf Sendung gehen.

Seit Wochen schon schwappt auf der ehemaligen „SoftHit-Radio“-Frequenz 98,2 der Slogan „Sanfte Songs und gute Nachrichten“ aus den Boxen. Dahinter, so Gülzow, verberge sich das Konzept des Senders. Ein christliches Boulevardradio solle Paradiso werden, ein Radio für die Leute auf der Straße, nicht nur für strenggläubige Kirchgänger. Laut Marktforschung sind „jedem dritten Berliner christliche Werte in seinem Leben wichtig“. Aus diesem Potential wolle Paradiso seine Hörerschaft schöpfen.

Um Sinn und Zweck eines vor allem von den evangelischen Kirchen getragenen Boulevardradios schwelt seit längerem Streit. Klaus Möllering, der evangelische Rundfunkbeauftragte des DeutschlandRadios und der Deutschen Welle, sieht vor allem in der Finanzierung das Problem. „Zum ersten Mal in Deutschland begibt sich ein kirchliches Programm in den Zwang, die Kosten über ebendieses Programm refinanzieren zu müssen.“ Das heißt, Radio Paradiso müsse unweigerlich von Werbegeldern leben. „Da wird den Werbekunden gesagt, daß ihre Werbung in ein christliches Umfeld eingebettet wird und daß sich dadurch die Werbebotschaft steigert. Das halte ich für sehr bedenklich.“ Allein aufgrund des Finanzierungsproblems sieht Möllering keine Chance für ein christliches Qualitätsprogramm.

Überhaupt keine Zukunft gibt Jörg Hildebrandt, ORB-Kirchenfunkredakteur, dem christlichen Sender. Seine Prognose: „Über 1998 kommen die nicht hinaus.“ Hildebrandt macht eine einfache Rechnung auf: „Uns kostet die einstündige Übertragung eines Gottesdienstes zwischen 5.000 und 6.000 Mark.“ Wie sich Radio Paradiso das leisten wolle, sei äußerst fraglich. Hinzu komme, daß Leute bei kirchlichen Sendungen abschalteten, ein Privatsender sich dies aber nicht leisten könne.

Klaus Möllering verweist zudem auf ein anderes Problem. Warum, fragt er, solle noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk Gottesdienste übertragen, wenn dies dann das kircheneigene Privatradio machen werde. Andererseits aber stelle sich die Frage: Wenn schon Radio Paradiso keine Gottesdienste sendet, warum sollte dies noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk machen? „Das ist ein inhaltliches Dilemma.“ Jens Rübsam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen