: Grüner Streit über Bosnien-Einsatz
■ Auf dem Parteitag suchen die Linken Kompromiß mit der Bundestagsfraktion
Berlin (taz) – Nie zuvor waren sich die Flügel der Grünen in der Frage des Bosnien-Einsatzes so nah wie heute. Und nie zuvor waren die Differenzen zwischen ihnen so unüberbrückbar wie vor dem Bundesparteitag, der am Wochenende in Suhl stattfindet. Die Nähe der Positionen konnte man noch an einer gemeinsamen Erklärung ablesen, die Kerstin Müller und Joschka Fischer am Dienstag abgaben. Darin betonen die beiden Fraktionssprecher, die verschiedenen Flügeln angehören, daß der Friedensprozeß in Bosnien „weiterhin einer voll wirksamen Sicherheitskomponente“ bedarf. Ziel sei es, „die Ifor-Truppen der Nato durch handlungsfähige, langfristig eingesetzte, friedenserhaltende Kräfte nach Kapitel VI der UN-Charta mit einem präzisen Mandat zu ersetzen“. Damit kein Sicherheitsvakuum in Bosnien entstehe, „soll der Bundestag unter diesen Bedingungen übergangsweise die weitere Beteiligung der Bundeswehr an einem Ifor-Nachfolgemandat beschließen“. Soweit die Gemeinsamkeit.
Die Rede der beiden Fraktionsspitzen stützte sich auf einen Antrag der linken Abgeordneten Angelika Beer, Ludger Volmer und anderer, in dem gefordert wird, daß die Ablösung der Ifor- durch UN-Truppen „geplant und binnen weniger Monate umgesetzt“ werde. Da man für einen solchen Prozeß keine präzisen zeitlichen Vorgaben machen könne und es in Bosnien nach allseitiger Einschätzung kein Sicherheitsvakuum geben dürfe, ersetzte der realpolitische Abgeordnete Gerd Poppe die „wenigen Monate“ durch das Wörtchen „baldmöglichst“. Soweit, so tragfähig auch für die Linken – wenn nicht, ja, wenn sich nicht hinter dieser Formulierung verbergen könnte, daß die Möglichkeit sobald nicht kommt, sondern die UN-Kräfte erst nach den Nato-Soldaten einmarschierten. Diese Variante vermag Poppe zumindest nicht auszuschließen. Um das zu vermeiden, will der linke Abgeordnete Ludger Volmer nun doch lieber von einer Peacekeepingmission „statt“ des Post-Ifor- Einsatzes reden. Da aber auch er um der politischen Position willen kein Sicherheitsvakuum will, sollen die Nato-Truppen „übergangsweise“ toleriert werden.
„Übergangsweise“, „baldmöglichst“, „in wenigen Monaten“ – was die Worte an Differenz nicht hergeben, erschließt sich womöglich aus der Motivation, mit der sie geäußert werden. Für Volmer liegt der Grundunterschied im Denkansatz. Während er die Ifor-Truppen aktiv ersetzen wolle, gehe es den Realos um „Peacekeeping als Follow-up“ der Nato-Truppen. Und das bedeutet, deren Fortwirken letztendlich zu akzeptieren.
Der Antrag des Verteidigungsministers würde zwar abgelehnt, aber, so fürchtet Beer, durch ein „Rühe light“ ersetzt. Die Linken befürchten, daß die Realos ihre Lesart der Anträge durchziehen, sollte der Parteitag erstmal vorrüber sein. Die Linken, so heißt es widerum bei den Realos, seien auf Abgrenzung bedacht, um auf dem Parteitag bei ihrer Klientel nicht als Umfaller gebrandmarkt zu werden. Immerhin hätten sie sich von Positionen, wie sie noch den Parteitag in Bremen prägten, entfernt. In der Tat spricht ein Antrag des Europaabgeordneten Frieder 0. Wolf und des Parteisprechers Jürgen Trittin anerkennend davon, daß Dayton „zu einem Ende des Mordens in Bosnien geführt“ habe. Sie plädieren für eine Ablösung von Ifor durch Peacekeeping, „ohne daß ein Vakuum entsteht“. Wie dieses vermieden werden kann, verschweigen sie allerdings.
Kerstin Müller hält eine Annäherung der Positionen noch für möglich. Immerhin hätten sich doch sowohl Fischer als auch Trittin schon bewegt. Sie macht eher den „psychologischen Hintergrund“ für das vorläufige Scheitern verantwortlich. Und dieser Hintergrund werde verblassen, wenn der Parteitag vorbei ist. Es sei denn, die Psychologie tritt beim kommenden Parteitag in den Vordergrund. Dieter Rulff
Porträt von Gunda Röstel Seite 11
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