Neues von der Aids-Front: „Durchboxen“
■ Risiko und Chance: Kombi-Therapie
Die rote Schleife hing gestern an jeder Brust der insgesamt sechs Podiumgäste kurz vor dem SPD-Forum „AIDS geht uns alle an“, das in der Bremer Bürgerschaft zum „Welt-Aidstag“ am kommenden Sonntag stattfand. Die Schleife ist aber nur das einzige beständige Symbol der elf Jahre alten Aidshilfe-Bewegung in Bremen. Neue Kombi-Therapien machen heute Bremer AidspatientInnen gleichzeitig Hoffnung und Angst: „Die chronisch Aids-Kranken werden arm, wenn die skandalöse Gesundheitsreform greift“, warnte Waltraud Hammerström, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD.
„Ich habe wirklich Sorge, daß ich meine Medikamente dann nicht mehr bezahlen kann“, erklärte Fred, der seit zehn Jahren HIV-positiv ist. Denn laut Gesundheitsreform müßten Aids-Kranke einen großen Teil ihrer Medikamte und Behandlungen selber zahlen – wie häusliche Krankenpflege, Massage und Krankengymnastik. Allein die Medikamente kosten jedoch pro Monat schon bis zu 3.000 Mark. „Das belastet natürlich auch das Budget der Ärzte“, so Hammerström. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD hatte sich telefonisch bei Bremer Arztpraxen als Aids-Patienten ausgegeben – und wurde von 70 Prozent der Ärzte abgelehnt. Die Ambivalenz der „Kombi-Therapie“ werde dadurch klar: Sie verlängere das Leben, degradiere chronisch Kranke aber zum Kostenfaktor. Aids-PatientInnen müßten ihre Therapien deshalb mehr denn je bei ihren Krankenkassen „durchboxen“, so Heiko Fahrenholz vom „Rat & Tat Zentrum“.
In Bremen leben nach Schätzungen des Robert-Koch-Institutes (Berlin) etwa 2.000 HIV-Infizierte, 183 sind in den letzten zehn Jahren an Aids erkrankt und 96 bereits gestorben. „Die Statistik ist vage“, erzählt Thomas F., Mitarbeiter der Bremer AIDS-Hilfe. Er hätte in den letzten Jahren bereits 72 Aidskranke bis in den Tod begleitet.
„Zuhause sterben“ wollen die meisten von ihnen, weiß Heiko Fahrenholz von der Bremer AIDS-Hilfe, die deshalb seit Juni dieses Jahres häusliche Krankenpflege anbietet. Für aidskranke Drogenabhängige hat die AIDS-Hilfe sechs Wohnungen eingerichtet, außerdem bietet das AWO-Pflegeheim in Walle fünf Wohnungen an – aber für alle Plätze existiert eine lange Warteliste: „Viele Menschen ohne soziales Umfeld brauchen Hilfe. Aber die ambulanten Pflegedienste trauen sich an aidskranke PatientInnen nicht heran.“
Der betroffene Fred zieht nach zehn Jahren Aidshilfe-Bewegung in Bremen eine positive Bilanz – doch vieles würde immer noch fehlen: eine Schwerpunktpraxis für HIV-Positive, eine HIV-Ambulanz sowie schwerpunktmäßige Krankenstationen in Kliniken. „Viele Bremer Aidspatienten sind in bessere Gesundheitszentren wie Hamburg oder Hannover abgewandert“, kritisiert auch der AIDS-Hilfe Mitarbeiter Thomas F. kat
Die Bremer AIDS-Zentren sowie SPD-Abgeordnete verkaufen am Samstag von 10 bis 18 Uhr zu Spendenzwecken rote Schleifen am Hanseatenhof und in der Pieperstraße.
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