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Die Rache eines Managers

Die Enttäuschung bei GM sitzt tief: López hat eine Männerfreundschaft verraten. VW soll außergerichtlich eine Milliarde Dollar zahlen  ■ Aus Detroit John Lippert

Daß General Motors zu Felde gezogen ist, um José Ignacio López de Arriortua zu vernichten, hat nichts mit Geld zu tun. Der eigentliche Grund ist Rache. Noch im März 1993 war López für General Motors ein wahrer Löwe, ein Retter. In kaum einem Jahr hatte López die GM-Zahlungen an Zulieferer um Milliardenbeträge gekürzt, und in den Augen der Spitzenmanager hatte er die Firma vor der Pleite gerettet.

Er hatte General Motors vorgemacht, wie man Teile global einkauft statt Land für Land und damit der Firma gezeigt, wie sie ihre ungeheure Größe als Vorteil nutzen konnte. Er hatte einer Bürokratie, die nach einem Jahrzehnt von Fehlern und Rückschlägen erstarrt war, neue Leidenschaft eingeimpft. „Wir kämpfen um unser Leben“, hatte er die verblüfften GM-Manager angeschrien. Denn die USA und Europa befinden sich in einem erbitterten Wirtschaftskrieg mit Japan. „Wir müssen gewinnen, oder unsere Söhne und Töchter werden zweitrangige Bürger in zweitrangigen Ländern sein“, hatte López den GM-Managern vorgehalten.

Erst in der Rückschau wurde bei GM deutlich, daß einige seiner Maßnahmen zur Kostensenkung kurzsichtig waren. Auch konnten manche Lieferanten mit niedrigen Angebote die Leistungen nicht erbringen. Selbst dieses Jahr erzeugt die von López geschaffene globale Einkaufsorganisation in anderen GM-Abteilungen noch immer Angst und Wut. Einige Lieferanten sind deswegen nur zögernd bereit, ihre geschützte Technologie mit GM zu teilen.

Dennoch war GM am 15. März 1993 noch sehr an López interessiert. Der Konzern war so begierig, alle konkurrierenden Angebote zu übertreffen, daß das Unternehmen ihm alle Automobil-Operationen in Nordamerika unterstellen wollte. Bei einer Pressekonferenz wollte GM-Vorstandsvorsitzender John F. Smith jr. triumphierend die Beförderung von López bekanntgeben – statt dessen mußte er verkünden, daß sein Manager gekündigt hatte und mit unbekanntem Ziel verschwunden war.

Als López einen Tag darauf als Vorstand der Volkswagen AG wiederauftauchte, hätte sich Smith mit der Rolle des zurückgewiesenen Liebhabers abfinden können. Aber seine Enttäuschung verwandelte sich schnell in rasende Wut, als Smith erfahren mußte, daß López seit mindestens einem Monat mit VW über seinen Wechsel verhandelt hatte. In dieser Zeit hatte er, wie GM vor Gericht dokumentierte, Tausende von GM-Dokumenten gesammelt, darunter auch geheime Preislisten von Zulieferteilen sowie Entwürfe für eine innovative neue Fabrik.

Nach seiner Ankunft in Deutschland hatte López die Dokumente laut Prozeßdokumenten in einem VW-Gästehaus mit Kopierer, Reißwolf und einigen Mitarbeitern überprüft. Dabei genoß er, wie GM in der Klage behauptet, die volle Unterstützung höchster VW-Manager, darunter auch des Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piäch. Smith reagierte mit einem Trommelfeuer von Gerichtsverfahren auf beiden Seiten des Atlantiks. Er stellte Strafanzeigen, die vermutlich bald die Klageerhebung gegen López und vielleicht auch andere VW-Manager in Deutschland und den USA zur Folge haben könnten.

Einen seiner größten juristischen Siege feierte Smith am 26. November, als ein Bundesrichter in Detroit die GM-Klagen wegen Verstoßes gegen den Racketeering Influenced and Corrupt Organisations Act für zulässig erklärte. Laut diesem Gesetz, das den Führern des organisierten Verbrechens die Möglichkeit nehmen soll, sich hinter einem Netz legaler Firmen zu verbergen, erhöht sich die Schadensersatzsumme, die GM zugesprochen werden könnte, auf bis zu 4,5 Milliarden Dollar. Smith' Sieg in diesem Verfahren veranlaßte zwei Tage später López zum Rücktritt am vergangenen Freitag. Zudem hat er auch die seit einiger Zeit ruhenden Gespräche über eine außergerichtliche Einigung zwischen VW und GM wieder in Gang gebracht. Das hat allerdings gestern die deutsche GM-Tochter Opel dementiert: Der weiche Abgang von López „mit Dank und Ehren“ reiche nicht aus, um Opel zu befrieden.

Ein außergerichtlicher Vergleich könnte schon morgen (3.12.) getroffen werden. Die Anwälte beider Seiten begegnen sich in Detroit erneut vor Gericht. Außenstehende Rechtsexperten vermuten, daß bei einer solchen Einigung VW eine Milliarde Dollar an General Motors zahlen müßte, zusätzlich zu weiteren Verpflichtungen aus zukünftigen Zulieferverträgen. Noch ungeklärt ist die GM- Forderung nach einer Entschuldigung und der Entlassung von sieben López-Mitarbeitern bei VW. Erst vor zwei Wochen hatte VW- Chef Piäch seine Unterstützung für López bekräftigt und gesagt, er wolle ihn auf Lebenszeit an die Firma binden. Bis zum März 1998 zahlt VW noch an López Gehalt, außerdem übernimmt der Konzern die Prozeßkosten. Piäch hofft, López als Berater an den Konzern zu binden. Damit würde sich de facto für Volkswagen nicht viel ändern.

López verführte Piäch wie zuvor GM-Vorstand Smith mit rücksichtslosen Kostensenkungen. Im Jahr vor López' Ankunft bei VW hatte das Unternehmen 650 Millionen Dollar verloren. In den neun Monaten vor dem 30.9.1996 verdiente VW 305 Millionen Dollar. Am 18. November eröffnete VW im brasilianischen Resende einen neuen Betrieb, den López als Traumfabrik bezeichnete. Bei voller Produktion wird die Anlage mit 800 Arbeitern täglich 100 Lastwagen herstellen – andere brasilianische Betriebe brauchen dazu 2.500 Arbeiter. GM-Manager verwiesen jedoch sehr schnell auf die Ähnlichkeit der VW-Betriebspläne mit den Entwürfen, die López 1993 bei GM mitgenommen hatte.

Europa hat noch nicht den vollen Sturmwind des japnanischen Wettbewerbs abgekriegt. Im Gefolge des López-Debakels wird sich Ferdinand Piäch nicht nur um seine eigene Karriere, sondern auch um die Zukunft von Europas größtem Autoproduzenten sorgen müssen.

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