piwik no script img

„Durch unseren Gemüsegarten nicht“

Für den Transrapid sollen ihre Häuser abgerissen werden, und dennoch regt sich bei den betroffenen Familien in der Nähe von Schwerin kaum Widerstand. Eine Naturschützerin in schwieriger Mission  ■ Von Claudia Thomsen

Cora Footh fühlt sich ein wenig überrumpelt. Überrumpelt nicht von einem ärgerlichen Gefühlsausbruch, sondern vielmehr von dessen vollständigem Ausbleiben. Daß Marika und Wolf-Rüdiger Kull derart elastisch auf schlechte Neuigkeiten reagieren würden, damit hatte die fünfunddreißigjährige Öko-Aktivistin einfach nicht gerechnet.

„Ich muß erst mal eine rauchen“, sagt Marika Kull schlicht, als die junge Frau von der Grünen Liga Schwerin einen Plan vor ihr auseinanderfaltet. Sie zieht an ihrer f 6. Und fährt mit dem Zeigefinger die dünne Linie auf dem Papier entlang. Die Linie touchiert zwei winzige, schwarz ausgemalte Quadrate, die mit dem Vermerk „Überbauung zweier Einzelanwesen“ versehen sind.

Eines der beiden schwarzen Quadrate steht für das 25 Kilometer südlich von Schwerin in Hohewisch-Ausbau gelegene Haus, in dem Marika Kull sitzt und ihren Zigarettenrauch über die Planungsunterlagen des Transrapid atmet. Der etwas vage Begriff „Überbauung“ meint den voraussichtlichen Abriß ihrer vier Wände.

Wie seine Frau bekommt auch Wolf-Rüdiger Kull diese Unterlagen zum sogenannten Raumordnungsverfahren (ROV) für die Magnetschnellbahn zum ersten Mal zu Gesicht. Er reagiert mit dezentem Trotz auf Cora Fooths Eröffnungen. Ein-, zweimal stupst er mit der Spitze seines Turnschuhs auf den Dielenboden, was lediglich die Hühner zum nervösen Flattern veranlaßt. „So 'ne Scheiße“ murmelt der Mann leise unter seinem schwarzen Schnauzer hervor, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Mit dem blauen Dunst scheint sich über dem runden Campingtisch jenes resignative Motto von der ewigen Angeschmiertheit der kleinen Leute zu verdichten.

Ob sich unter diese wenig aufbäumende Stimmung ein spezifischer Ost-Blues mischt, vermag Cora Footh nicht zu sagen. Die studierte Biologin ist erst Anfang des Jahres aus Oldenburg nach Schwerin gezogen, um bei der Grünen Liga zu arbeiten, dem Netzwerk ökologischer Bewegungen in Mecklenburg-Vorpommern.

Wohl um die beiden Mittvierziger ein wenig aufzurütteln, beginnt sie, aus dem Steckbrief der Absurditäten rund um den Transrapid zu zitieren: Neun Milliarden Mark solle das High-Tech-Teil auf Stelzen laut idealistischer Kalkulation der Magnetbahn-Planungsgesellschaft (MPG) kosten. Zwei Drittel davon hätten die Steuerzahler zu berappen.

Dabei könne die ICE-Fahrzeit für Investitionen von nur einer Milliarde auf achtzig Minuten verkürzt werden, und das seien im Vergleich zum Lift im Magnetflitzer schließlich nur 22 Minuten mehr. Damit das Geld wieder reinkommt, sollen 14,5 Millionen Menschen jährlich per Magnetbahn transportiert werden, das seien fünfmal so viele Leute, wie heute auf Straßen, Schienen und in der Luft zwischen Hamburg und Berlin unterwegs seien.

Der Melker und seine Frau, die früher im VEB-Betriebsschutz tätig war, schauen ihre Besucherin ruhig an. „Was sie wohl von uns will?“ scheinen die beiden stumm zu fragen. Die gänzliche Unaufgeregtheit des Paares läßt vermuten, daß ihnen jenes Projekt, über das sie von den „Buschtrommeln“, also per Klatsch und Tratsch, schon gehört haben, noch immer so unwirklich erscheint wie die Enterprise.

Vor vierzehn Jahren haben die Kulls ihre über hundert Jahre alte und schon damals von morbid- bröckeligem Charme gezeichnete Bauernkate erstanden. Mit ihrer Tochter Susan und dem fürs Landleben obligatorischen Viehzeug lebt das Ehepaar heute in einer Gegend, deren undramatische Idylle mit dem Kullschen Temperament aufs trefflichste zu harmonieren scheint. „Wie stehen denn unsere Chancen eigentlich?“ fragt Marika Kull nach einer längeren Pause. „Fifty-fifty“, antwortet Cora Footh und erklärt den Kulls, daß ihr Haus zwar nicht an der derzeit bevorzugten Trasse liege, die umweltfreundlichste Strecke jedoch noch ermittelt werde. „Und weil die Entscheidung darüber, welche Variante nun tatsächlich realisiert wird, auch vom Protest der Bevölkerung abhängt, sollten Sie unbedingt Widerspruch einlegen“, versucht die Naturschützerin zu motivieren.

Sie weiß, wovon sie spricht. In Brandenburg etwa wurde nicht die vorab heiß umstrittene „Nordtrasse“ ausgewiesen – die Lieblingsstrecke der Betreiber nach den vorliegenden Plänen – sondern eine weiter östlich gelegene Alternative. „Insider vermuten, daß die MPG damit nur die Protestler beschwichtigen und später wieder auf ihr Ausgangsmodell zurückschwenken will“, weiß Cora Footh aus dem widerständischen Lager zu berichten.

„Du drückst dich doch bei sowas immer“, sagt Marika Kull mäßig vorwurfsvoll zu ihrem Mann, als die Besucherin das Ehepaar zu einem Infotreffen in Schwerin einlädt. Beim Abschied bedanken sich die Kulls mehrfach für die Informationen. „Aber im Moment können wir doch nichts weiter machen, oder?“

Nächster Termin: Akkurat gepflanzte kleine Tannen und Gardenien zirkeln das Haus von Inge und Helmut Gill zumindest provisorisch von der Bundesstraße 5 ab. Strahlend weißer Klinker sorgt dafür, daß das ehemalige Bauernhaus südlich von Grabow von vorn kaum noch als solches zu erkennen ist. „Erst hab' ich gedacht, das ist doch wohl ein Witz“, sagt Inge Gill zu ihrem überraschenden Gast auf dem Weg ins Wohnzimmer. Die 53jährige und ihr Mann wissen bereits, daß ihr Haus der sogenannten Präferenzstrecke des Transrapid im Wege steht.

Lange schon haben Inge und Helmut Gill die staatlich organisierte Unterbringung in sozialistischen Wohnkomplexen, den sogenannten „Arbeiterschließfächern“, hinter sich gelassen. Bereits 1976 erwarben sie das Haus an der Grabower Straße und zogen von Thüringen nach Mecklenburg. Ob sie denn nicht beunruhigt seien, fragt Cora Footh das Ehepaar. „Ich bin optimistisch, solange nichts entschieden ist“, entgegnet Helmut Gill knapp. Während ihr Mann nicht weiter als bis zur frisch geteerten Einfahrt schauen möchte, zeigt die resolute Frau im blauen Strickpullover realpolitisches Kalkül: „Wir haben an dem Haus schließlich einiges getan, das müssen die dann aber auch bezahlen!“

Wie in Delmenhorst, Herford oder Viersen ist man auch bei Grabow vor allem daran interessiert, nichts vom mühsam erarbeiteten Lebensstandard einzubüßen. Und dieser Standard ist schließlich nicht zwangsläufig an das Haus an der B 5 gekoppelt. Nein, am Infotreffen der vom Transrapid betroffenen Mecklenburger werde man deshalb nicht teilnehmen: „Am Abend möchte man schon seine Ruhe haben“, sagt Inge Gill.

Das war's dann bei den Gills, aber Cora Footh hat sich für diesen Tag noch einen Besuch vorgenommen.

Endlich. Bei den Molls scheint man eine andere Sprache zu sprechen. Günter Moll (66) fuchtelt protestierend mit dem Zeigefinger. In Gammelin-Ausbau trifft Cora Footh auf den Bauern und seine Frau Wilhelmine, die mit ihrem Sohn Bernd, dessen Frau Dagmar und deren Kindern auf einem Hof leben, der ebenfalls direkt an der favorisierten Strecke des Transrapid liegt. Die Magnetbahn wird auf dem Mollschen Anwesen freilich nur „Ungetüm“ oder „Ding“ genannt.

„Vor kurzem hieß es noch, unser Haus soll abgerissen werden, und jetzt, wo wir so laut waren, soll das Ding durch unseren Gemüsegarten fahren“, empört sich Dagmar Moll über den behördlichen Schlingerkurs. Während die 34jährige – einen Aktenordner mit Zeitungsausschnitten auf dem Schoß – versucht, den chronologischen Ablauf ihres Widerstands zu dokumentieren, wird sie immer wieder von ihrem temperamentvollen Schwiegervater unterbrochen. „Früher hieß dat Staatskollektivierung und heute Zwangsenteignung“ oder „von diesem Staat wird man noch doller geschröppt als vom letzten“, donnert er, nicht ohne eindrucksvoll das „R“ zu rollen.

56 Jahre lebt Günter Moll jetzt auf dem Hof, seit gut zwei Monaten weiß er von den Transrapid- Plänen, und seither „schmeckt selbst das Essen nicht mehr“. Früher setzte die Familie ihr Organisationstalent ein, um Badezimmerkacheln bei einem Mitarbeiter im Boizenburger Fliesenwerk gegen West-LPs zu tauschen. Heute haben die Molls in Gammelin eine Bürgerinitiative gegründet. Besonders der charmante Erzähler Günter Moll ist froh, daß Cora Footh hierher gefunden hat, Hilfe beim Protestieren allerdings hat er nicht nötig. Sollte hier einer begriffen haben, daß Widerstand nicht nur anstrengende, sondern auch aufregende Seiten haben kann?

Cora Footh wird zum Videogucken auf den ehemaligen Heuboden geladen, der zum Wohnzimmer der Familie Moll junior umgebaut worden ist. Offensichtlich haben die Molls die Berichte und das ihnen von den Sendern zugeschickte mehrstündige Rohmaterial schon mehrfach gesichtet. Zehn Augen drehen sich gen Decke, als die recht vagen Kommentare der Gammeliner Bürgermeisterin zum Thema zu hören sind. „Aber sechs Volljuristen hat sie“, meckert Günter Moll, kurz bevor die Frau auf dem Schirm sagt: „Sechs Volljuristen stehen mir beratend zur Seite.“

Auch auf die vielen zermatschten Vögel, die auf der im Emsland betriebenen Magnetschnellbahn blutige Spuren hinterlassen haben, weisen die Molls rechtzeitig hin. Lachend und manchmal ein wenig verschämt guckt man sich ein Weilchen selbst im Fernsehen zu. „Schöne Bilder haben die eingefangen. In zehn Jahren freuen wir uns, wenn wir uns das angucken“, sagt Dagmar Moll und lehnt sich im Sofa zurück. Und das soll dann bitte in Gammelin- Ausbau sein, wo sonst?

Zum Abschied gibt Günter Moll Cora Footh Äpfel mit auf den Weg in die Stadt. „Drücken Sie uns die Daumen, denn wir wollen kein Geld, wir wollen hierbleiben“, sagt er am Tor und lüftet kurz seine Tweedmütze mit dem kleinen Schirm.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen