piwik no script img

Gericht quartiert Fabriken um

In Indiens Hauptstadt werden nach elfjährigem Rechtsstreit 1.200 Betriebe geschlossen, bis zu 60.000 Arbeiter verlieren ihren Job  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Elf Jahre nach der ersten Gerichtsklage haben am Samstag eine erste Tranche von 168 umweltverschmutzenden Unternehmen in der Hauptstadt New Delhi ihre Tore geschlossen, über 1.000 sollen noch folgen. Der Anwalt Mahesh Chand Mehta hatte 1985 eine Öffentlichkeitsklage beim Obersten Gericht Indiens eingereicht, um der zunehmenden Umweltverschmutzung der Hauptstadt – vor allem von Wasser und Luft – Einhalt zu gebieten.

Mitten in den dichtbevölkerten Vororten siedelten sich Tausende von Kleinunternehmen an, von denen sich viele ihre Produktionslizenzen mit Schmiergeldern ergattert hatten. Sie hatten auch dafür gesorgt, daß die Behörden wegschauten, wenn sie ihre chemisch verseuchten Abfälle ins Grundwasser wuschen oder in die Luft abfackelten. Eine Reihe von juristischen Hakenschlägen und der schiere Umfang der vielen Betriebe verzögerten durchgreifende Maßnahmen. Frühere Gerichtsurteile hatten auch dazu geführt, daß viele der Unternehmen ihre Tore schlossen und kurze Zeit darauf unter einem neuen Namen in der Nähe wieder öffneten. In seinem jüngsten Urteil hat das Oberste Gericht nun 1.200 Firmen ihre Produktionslizenzen entzogen und sie angewiesen, in den Industriezonen in einem weiten Gürtel um die Hauptstadt neu zu beginnen – offiziell unter strikter Einhaltung der Umweltvorschriften. Nach den 168 Betrieben am 30. November soll eine weitere Schließung von 513 Fabriken am 31. Januar 1997 folgen.

Als die Polizei am Samstag die Fabriktore versiegelte, kamen die Proteste nicht von den Unternehmern, sondern von den Arbeitern. Die Gewerkschaften argumentieren, daß rund 60.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Sie werfen den Unternehmern nämlich vor, daß die meisten die Gelegenheit benützen werden, ihr Land zu verkaufen und den Erlös anderswo zu investieren, weil sie sich dann um die Neuansiedlung ihrer Arbeiter drücken können. Der Protest trifft auch das Gericht, das den Unternehmen in seinem Urteil keine bindenden Auflagen gemacht hat, etwa den Erlös aus dem Landverkauf in die Umsiedlung zu investieren. Die Unternehmer wiederum argumentieren, die Infrastruktur an den vorgesehenen neuen Orten gebe es nur auf dem Papier.

Der Umweltaktivismus der Justiz wird von der breiten Bevölkerung willkommen geheißen, aber er trifft nicht die eigentlichen Verursacher – die korrupten Beamten und Politiker –, sondern die vielen Menschen, die auf der Suche nach Einkommen die direkten Opfer ihrer umweltschädigenden Tätigkeit sind. Wenn nämlich die Behörden die Umweltgesetze anwenden würden, sagen Gewerkschaftsvertreter, würden solche Betriebe gar nicht entstehen.

Ein besonders krasser Fall unter den 168 geschlossenen Unternehmen ist der einzige große Schlachthof der Hauptstadt. Behördliche Lethargie hat das Idgah-Schlachthaus im Norden der Stadt in einen riesigen Sumpf von Blut, Gedärmen, Kot und Millionen von Insekten verwandelt, das jeder Hygiene spottet. Tausende von Tieren warten in knöcheltiefem Dreck auf ihre Hinrichtung. Als vor zwei Jahren eine Gerichtskommission eine Inspektion durchführte, gab es keine Spur von den Beamten des Lebensmittelinspektorats, die eigentlich kranke Tiere aussondern müßten. Schon damals hatten die Richter die Verwaltung aufgefordert, neue Anlagen zu bauen. Es geschah nichts, und als die Behörden nach dem jüngsten Schließungsbefehl wiederum um Aufschub baten, blieb das Gericht hart.

Ab sofort dürfen keine Großtiere mehr geschlachtet werden, und die Zahl der kleineren Tiere (vor allem Schafe und Ziegen) wird auf täglich 2.500 begrenzt. 5.000 Metzger werden arbeitslos, ebenso wie rund 20.000 Händler, Kulis und Wärter. Und für die Bevölkerung der Stadt verdoppelten sich die Fleischpreise. Die Beamten, die den Schlamassel verursachten, gehen straflos aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen