■ Nachschlag: Paul Waschkaus Hetz-Traum-Drama im Theater unterm Dach
Wann war das eigentlich, daß Ingeborg Quaas mit ihrem Literaturcafé Wolkenbügel aus der Landsberger Allee verschwand? Eine Wende-Instanz weniger, das fiel nicht mehr auf. Jetzt ist ihr luftiges Logo wieder da, draußen an der Mauer der Pippi-Langstrumpf-Villa vom Kulturamt Prenzlauer Berg. Und eigentlich ist alles wie immer. Im Theater unterm Dach macht der Wolkenbügel mit seinen alten Freundschaften weiter, ein paar neue kommen hinzu. Die Sklaven von Bert Papenfuß sind bei ihr ins Winterquartier gezogen. Jan Faktor plant fürs neue Jahr eine Lesereihe mit den Kollegen Grünbein & Co. Und manchmal gibt's auch einen richtigen Event: Dann läßt sich Funny van Dannen von der sanften Frau Quaas breitschlagen, unterbricht ihr zuliebe seine schöpferische Pause – und schon drängeln sich 150 Leute unter den Dachstuhl. Es kostet auch fast nichts. An der Kasse arbeitet eine nette ältere Dame für acht Mark in der Stunde. Die Arbeitslosenhilfeempfängerin kriegt bei ihr die Ermäßigung auch ohne Ausweis und weiß nun nicht mehr, wohin mit der Wut. Die Dame erzählt von einem edlen Weihnachtsmärchen – „außergewöhnlich schön“. Nachher sitzt sie in Paul Waschkaus Hetz- Traum-Drama „Med.usa/Die Schändung der Cenci“ und findet das anregend. Das war am Mittwoch, und ich beneide sie. Wegen des Weihnachtsmärchens, das ich auch gern gesehen hätte. Im Hetz- Traum-Drama saßen Paul Waschkau, Berliner Off-Dichter, und Chady Seubert, Schauspielerin, und lasen szenisch ein ziemlich gewaltiges Stück von dem Mädchen Beatrice Cenci aus dem 16. Jahrhundert. Von ihrem Stiefvater bedroht, bringt sie ihn um und wird dafür päpstlicherseits hingerichtet. Waschkau hat um diesen historischen Vorfall einen Monolog „für mindestens eine Schauspielerin“ gebaut. Der zitiert von Medea über die Cenci bis hin zur türkischen Mutter in Lübeck die Frauenopfer der Weltliteratur auf sein Floß der „Med.usa“ und gibt ihnen Mittel der Rache an die Hand. Das liest sich zum Beispiel so: „Für einen unendlich kurzen Moment / galoppiert sie nackt / auf einem tollen Pferd / die Jungfrau Beatrice Cenci / Sie hält die Peitsche / Unter ihr kriecht ihr Vater / dem in der Arena / gleich der Schwanz abgeschnitten wird.“ Oder anders. Die weibliche Allegorie der Rache gewinnt ihre multiple Persönlichkeit aus dem Klischee: „Ich bin Medea, eine im Abklatschverfahren gewonnene Frau.“ Waschkau ist ein alter Hase der Off-Kultur und weiß, daß man der Gemeinde ruhig ein bißchen Zunder geben kann. Um sie bei der Stange zu halten. Den beiden auf der Bühne – den Revolver in der Faust – merkte man Spaß an. Fritz v. Klinggräff
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