Village Voice: Fehler im System
■ Die Wahre Schule hat was gegen kulturelle Identitäten, gegen Scheißliberale, 68er Fettärsche und die bösen Medien
Wahre Schule nennt sich eine HipHop-Band, die mit „in falschem geruch von ghetto hier?“ gerade ihr Debüt-Album veröffentlicht hat. Als HipHop bezeichnen darf man die Art und Weise der Neuköllner, Musik zu machen: mit Samples, Beats und Sprechgesang. Vor allem aber ist HipHop für sie Transportmittel, um Systemkritik und Fragen über Fragen an Mann und Frau zu bringen. Die Wahre Schule definiert ihr Programm so: „Wahre Schule ist eine städtische Geschichte, kein bestimmter Stil, sondern Spiel, kein deutscher HipHop, sondern die Popgeschichte der Häuserwände und Demos.“
Das heißt: kein Einklinken in ästhetische HipHop-Diskurse, kein Abgeben umständlicher Erklärungen: Ob man denn darf oder nicht, ob man seine Zugangsberechtigung zur „Rap-Nation oder -Kultur“ über Graffiti und Breakdance oder gar über eigene soziale Erfahrungen zu erbringen hat. (Höchstens das Stück „Assimilation“ ist hier ein Hinweis.) Halt's Maul, HipHop- Deutschland! Immerhin läßt sich ihr Name (bewußt so gewählt?) gut abgrenzen zur Old School, als die sich ein Teil der HipHopper in Deutschland seit Jahren bezeichnet. Und verstanden die schon wenig Spaß, gibt's von der Wahren Schule in dem Track „Modernisierer im System“ erst richtig Haue: „Ich höre hier HipHop, der ,Rassismus stop‘ schreit, gut klingt, im Ohr sich einschleift, mit ,reih dich ein‘ und wegen ,höchster Zeit‘ die Faschos und RassistInnen direkt angreift.“
Bis dahin schön und gut, findet auch die Wahre Schule, doch dann folgt die schonungslose Analyse: Da legt man „pur die Grundstruktur“; zeigt den alten Schülern (und nicht nur denen) die Fehler im System, disst die „sogenannte Ausländerfreundlichkeit“ und entlarvt die vermaledeite Rekonstruktion von religiösen, nationalen, rassischen, kulturellen Identitäten als Wachs in den Händen der „Meister aus Deutschland“. Damit das auch ja jeder merkt, gibt's im Innersleeve des Albums ein Foto vom Kottbusser Tor, das hier als U-Bahn-Inschrift kurzerhand in „Identity Tor“ umgewandelt wurde. Und in diesem Stil geht das weiter: Scheißliberale, 68er Fettärsche in den Institutionen, Desinformation und Manipulation der bösen Medien, etc. pp.
Mag die „Popgeschichte der Häuserwände und Demos“ nicht mehr als ein funkelnder Euphemismus sein – etwa Polit-Graffiti, Parolen, Reden, sich zusammen an den Händen halten und den Bullen eins aufs Auge hauen? – bei den Wahren Schülern muß „Pop sich in Wissen und Kritik auflösen“ (Günther Jacob). Tiefer schürfen also, dem Pop seine Oberflächen runterreißen. Sagen, was sonst keiner sagt. Finger in Wunden legen. Politik doch wieder funky werden lassen.
Wie oft in solchen Fällen ist die Musik leider weniger funky. Von schlechten Zeiten ist oft genug die Rede, aber selbst schlechte Zeiten könnten wenigstens gut klingen. Zwar haben die Wahren Schüler laut Info von Punk und Funk bis Jazz von Dub und Jazz bis HipHop so ziemlich alles gehört, was kickt. Doch die Reime fließen meist recht holprig – kein Wunder, wenn man statt dem geilen Style der reinen Wahrheit verpflichtet ist.
Und auch mit den Beats möchte man sich eher ungern angrooven. Das Cover des Albums ist übrigens das von Boogie Down Productions „By Any Means Necessary“ – zerkratzt und zerhäckselt. Hinweis auf ihr Programm oder Reverenz an Cpt. Kirk, der ähnliches bei „Reformhölle“ gemacht hat? Eher letzteres, denn in ihren Titelsong haben sie eine Zeile aus dessen Song „Geldunter“ montiert. Wenn sie sich demnächst genauer von Cpt. Kirk abgucken, wie man Schönheit und Radikalität kurzschließt, dann könnte noch einiges gut werden im Wahre-Schule-Universum. Gerrit Bartels
Wahre Schule: „in falschem geruch von ghetto hier?“ (What so funny about/Efa)
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