■ Scheibengericht: Stefan Hussong, Irvine Arditti
John Cage – Six Melodies/Thirteen Harmonies (Edition Michael F.Bauer MFB CD 018 – Postfach 900364, 60487 Frankfurt/M. Fax 069/704677)
In der Neuen Musik gilt John Cage als Poet der Geräusche. Daß der Zen-Meister der Avantgarde auch tonale Kompositionen schrieb, wird zumeist übersehen. Mitte der siebziger Jahre ließ Cage wissen, daß er endlich eine Methode gefunden hätte, Harmonien zu komponieren, die ihn interessiere. Auf Grundlage dieser Technik entstand die Komposition „Apartment House 1776“ für die Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.
Mit dem Werk, das sich aus 64 Miniaturen zusammensetzt, wollte er die amerikanische Musik des späten 18. Jahrhunderts als buntschillerndes Kaleidoskop rekonstruieren, wo „mehrere Dinge im selben Augenblick zusammenzutreffen pflegen, als daß nur eines allein geschieht“. Cage sammelte Marschmelodien, Tanzweisen, Choräle, protestantische Hymnen, Gesänge der Juden und Lieder der Indianer und der schwarzen Sklaven, die er per Zufallsverfahren zerlegte, unterteilte, collagierte, ergänzte und in sinnvoller Weise neu ordnete und wieder zusammensetzte.
Im Duo mit dem ersten Geiger der Neuen Musik, Irvine Arditti, einer Autorität in Sachen Cage, hat der Akkordeonist Stefan Hussong davon „Thirteen Harmonies“ in eindrucksvoller Weise in Szene gesetzt. Hussong läßt seinen Balg wie das schwindsüchtige Harmonium einer alten Baptistenkirche japsen, während Arditti seine Landolfi-Violine aus dem Jahr 1760 mit der Noblesse altenglischer Consortmusik streicht oder mit dem Elan eines Tanzfiedlers aus den Appalachenbergen über die Saiten huscht. So träumen sich die beiden in die Zeit der Pilger und Pioniere zurück.
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