: Mit Handgranaten in die Christmette
Drei Tote, 13 Verletzte beim Selbstmordattentat einer 49jährigen am Heiligabend in einer evangelischen Kirche. Motiv unklar, Polizei schließt politische Gründe aus ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt
Die Frau, die sich am Heiligen Abend in der evangelischen Kirche im Frankfurter Stadtteil Sindlingen (Süd) während der Christmette mit zwei Handgranaten in die Luft jagte, ist als eine 49jährige aus der Nähe von Usingen/Taunus identifiziert worden. Über ihr Motiv wird noch gerätselt, vermutlich war sie psychisch krank. Bei der Explosion wurden zwei weitere Frauen im Alter von 59 und 61 Jahren getötet und 13 GottesdienstbesucherInnen zum Teil schwer verletzt. Drei von ihnen, darunter ein zwölfjähriges Mädchen, schwebten gestern noch in Lebensgefahr. Besonders kritisch steht es um das Leben der Mutter dieses Kindes.
Nach der Explosion gegen 23.15 Uhr, bei der Splitter der Handgranaten wie Geschosse durch die Kirche flogen, Menschen verletzten und die Buntglasfenster durchschlugen, brach unter den rund 70 BesucherInnen, die gerade den Choral „Lobet Gott, Ihr Christen!“ angestimmt hatten, eine Panik aus. Die Menschen stürzten nach draußen in die eisige Kälte. Viele irrten noch Minuten nach dem mutmaßlichen Selbstmordattentat wie paralysiert durch die Straßen; andere saßen trotz zehn Grad minus stumm auf dem Bürgersteig oder weinten hemmungslos. Ärzte und Polizeipsychologen mußten sich später auch um Kollegen und Feuerwehrleute kümmern, die nach der Tatortbesichtigung gleichfalls unter Schock standen. Ein „Bild des Grauens“ habe sich in der Kirche geboten, berichtete der Höchster Dekan Burkhard Sulimann, der noch in der Heiligen Nacht zur Sindlinger Kirche geeilt war, am 1. Weihnachtsfeiertag.
Die Attentäterin, die die Handgranaten auf dem Leib trug, war vollständig zerfetzt worden. Spezialisten des hessischen LKA und Gerichtsmediziner versuchten am Mittwoch, wenigstens den Kopf so zu präparieren, daß verwertbare Fotos für die öffentliche Fahndung gemacht werden konnten. Nach Augenzeugenberichten kam die Frau, die keiner der Kirchenbesucher kannte, später als die anderen Gläubigen zur Christmette. Sie saß im hinteren Teil der Kirche und hatte ihren Körper mit einer Decke oder einem großen Tuch verhüllt.
Ob sie irgendwelche Beziehungen zur Familie des Pfarrers oder zur evangelischen Kirche hatte, ist nicht bekannt. Ein Sprecher der Polizei schloß schon am Mittwoch einen politischen Hintergrund für die „wahnsinnige Tat“ aus. Gestern kam heraus, daß die Frau bis vor einiger Zeit im benachbarten Stadtteil Frankfurt-Rödelheim gewohnt hat. Vor kurzem sei sie in den Taunus gezogen, ohne sich aber umzumelden. Unklar ist, wie sie in den Besitz der Handgranaten gekommen war und es ihr gelang, sie zu zünden.
Die Menschen in Sindlingen, die am 1. Feiertag zu ihrer kleinen schiefergedeckten Kirche kamen, standen fassungslos vor den Absperrbändern der Polizei. „Das kann doch niemand begreifen, daß jemand so eine schreckliche Tat begeht“, sagte eine ältere Frau. Und der Sohn der Küsterin, die normalerweise in der drittletzten Reihe der Kirchenbänke, in die sich die Attentäterin gesetzt hatte, ihren Platz hat, kämpfte mit den Tränen. Nur weil die Kirche am Heiligen Abend so voll war, saß seine Mutter diesmal vorne vor der Kanzel. Durch die laute Detonation der Handgranaten habe sie einen Trommelfellschaden erlitten und werde zur Zeit im Krankenhaus in Höchst stationär behandelt, erzählt er.
Viele Besucher kamen und kommen noch zur jetzt abgesperrten Kirche, um zu beten und Blumen niederzulegen. Am kommenden Sonntag soll in der katholischen Kirche von Sindlingen, die umgehend Gastrecht gewährte, ein Trauergottesdienst stattfinden.
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