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Anleitung zum Möbelrücken

Für Fetischisten der mobilen Inneneinrichtung sind Wohnideen per Post ein Jungbrunnen: ein Zeitschriftenabo. Doch welche Lektüre bietet was? Durch den Blätterwald schlug sich  ■ Christine Berger

Dieter Hubert liebt das Möbelrücken. Kommt er abends von der Arbeit nach Hause, setzt er sich nicht wie andere Leute auf die Couch und macht ein Bier auf. Nein, er nimmt die Couch und stellt sie woandershin. Vor dem Einschlafen überlegt sich der gelernte Tischler, wie es wohl wäre, wenn er das Bett zur Abwechslung in die Eßecke stellen würde und dafür den Tisch dorthin, wo früher die Couch stand. Das Bücherregal müßte aus Platzgründen dann im Flur aufgestellt werden, nur – wohin dann mit dem Schuhschrank?

Ungelöste Probleme dieser Art rauben Hubert in mancher Nacht den Schlaf. Erst wenn die Lösung perfekt ausgearbeitet ist, kann er sich entspannt im Bett umdrehen. Kurze Zeit später erinnert ihn der Wecker daran, daß Möbelrücken leider nur ein Freizeitsport ist.

Noch hat der Mann mit Sinn für Inneneinrichtung kein Abonnement einer Wohnzeitschrift. Es dürfte allerdings nur eine Frage der Zeit sein, daß der Illustriertenmarkt auch bei Hubert seine Spuren hinterläßt. Fast ein Dutzend dieser bunten Blätter richtet sich nämlich genau an solche Personen wie Hubert, die den lieben langen Tag von nichts anderem träumen als von einer täglich sich verändernden Umgebung.

Einrichtungsstile aus fernen Ländern bietet zum Beispiel die Zeitschrift Wohnidee in ihrer Dezemberausgabe. Blauweiß gehaltene Möbel und Stoffe suggerieren ein Leben wie Gott in Griechenland, Terrakotta-Fliesen und Zedernholzmöbel müssen für das Leben à la Provence herhalten, und der Kolonialstil outet sich durch ein drapiertes Mückennetz überm Himmelbett und einen überdimensionalen Deckenventilator. Interessanter ist eine Reportage über Blaudrucker. Hinterher weiß der Leser, wie die Farbe auf das Leinen kommt und warum wir vom Blaumachen reden, wenn die Arbeit uns den Buckel runterrutschen soll.

Unvermeidlich ist scheinbar das Thema „Wohnen im Landhausstil“, das in so gut wie jeder Einrichtungsillustrierten auftaucht. Leute wie Hubert träumen wahrscheinlich in ihren kleinen Zwei- Zimmer-Butzen ein Leben lang von herrschaftlichen Wohn- und Besitzverhältnissen und nähren mit den bunten Bildern ihre heimlichen Sehnsüchte. Damit die unerreichbare Schönheit des Landhausdesigns auf Dauer keine Verbitterung über die eigene finanzielle Unzulänglichkeit hinterläßt, greift fast jede Zeitschrift regelmäßig ein anderes wichtiges Thema auf: das Wohnen auf engstem Raum. Wie schaffe ich es, auf zehn Quadratmetern Wohnfläche eine Eßecke zu installieren und gleichzeitig einen Fitneßraum mit Tischtennisplatte daraus zu machen? Oder wie können sich zwei Kinder ein Sechs-Quadratmeter-Kinderzimmer teilen, ohne daß es Mord und Totschlag gibt?

Etliche Experten raufen sich monatlich in den Redaktionen der Ratgeberpostillen die Haare, um phantasievolle Lösungen für das Wohnen in Schuhkartons zu finden. Die Zeitschrift Neues Wohnen weitet das Thema auch auf Eigenheimbesitzer aus. Dort gab es vor kurzem einen Wettbewerb zum Thema: „Bauen auf kleinen Grundstücken“. Preisverdächtig war dort unter anderem ein Baumhaus, das zwei zehnjährige Gören in einem Birnbaum gebaut hatten.

Natürlich gibt es auch Magazine, die sich an eine begüterte Klientel richten. Elle decoration setzt beim Lifestyle ein gewisses Budget voraus. Anregungen für Mietwohnungen kommen nicht vor. Statt dessen gibt es Porträts von Designern oder Künstlern und ihren Häusern. So erfahren wir zum Beispiel, daß Schauspieler John Malkovich mehr als ein halbes Jahr gebraucht hat, um das Badezimmer in seiner Villa zu entwerfen. Elle- Leserinnen haben die Ehre, einen ersten Blick auf das vollendete Werk werfen zu dürfen. Und so wirkt das Magazin denn auch eher wie eine architektonische Klatschrevue, in der Voyeure in die Häuser der Reichen und Superreichen schauen dürfen.

Marie Claire Maison dagegen ist das kreative I-Tüpfelchen der Branche. Ohne dogmatisch zu sein, zeigt die Zeitschrift, auf was es ankommt, will man ein bißchen Leben in die Bude bekommen. Daß Geld keine Rolle spielt, ist bei dieser Illustrierten durchaus in einem positiven Sinne zu verstehen. Dinge vom Sperrmüll stehen hier in gleicher Reihe wie sündhaft teure Antiquitäten. Allein die Idee zählt, und die ist eben manchmal unbezahlbar. Bei Marie Claire Maison heißen die Rubriken auch nicht „Wohnen und Einrichten“ oder „Gartentische“, sondern schlicht „Atmosphäre“ oder „Wintermärchen“. Die Bilder sind sehr poetisch, von Moderne und strengen Linien keine Spur.

Mut zur kühlen Eleganz beweist Architektur und Wohnen. Unter der Rubrik Design und Ökologie stellen die Blattmacher zum Beispiel langlebige Möbel vor, die mehr durch Qualität als durch Ausstrahlung bestechen. Schränke, die sowohl für Schuhe als auch für Vorräte in der Küche verwendbar sind, und Stühle, bei denen man sich fragt, ob sie nicht besser im Großraumbüro aufgehoben sind, zeigen, daß Möbel nicht mehr typisch für einen bestimmten Wohnraum sein müssen.

Für Menschen wie Dieter Hubert ist die Existenz von Universalmöbeln ein Glück. Neulich hat er sich ein Sideboard gekauft, das man auch vertikal aufgerichtet als Staubsaugerschrank benutzen kann. An ein neues Bett hat er auch schon gedacht: Das wäre dann eines dieser Dinger, die er neulich beim Zahnarzt in der Wohnillustrierten entdeckt hat. Höhenverstellbar läßt sich das gute Stück tagsüber mit einer Platte zudecken und als Eßtisch benutzen. Womit sich das ständige Möbelrücken für Hubert dann vielleicht ein bißchen reduzieren würde – Zeitschrift sei Dank! Christine Berger

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