piwik no script img

Kochmützen mit Beleuchtung

„Ein grauer kleiner Vogel zwischen den goldbetreßten Uniformen der sowjetischen Offiziere“: Mit seinen „Erinnerungen an Brecht“ hat der Literaturhistoriker Hans Mayer auch eine Biographie der frühen DDR-Jahre geschrieben  ■ Von Peter Walther

„Es gibt kein sichreres Kriterion von einem großen Schriftsteller, als wenn sich aus seinen Anmerkungen en passant Bücher machen lassen“, heißt es bei Lichtenberg, der die Veröffentlichung seiner Sudelbücher selbst nicht mehr erlebte. In Zeiten fortgeschrittener Buchtechnik wird die Glaubwürdigkeit dieses Kriteriums zuweilen arg strapaziert. Nicht so im Fall des beinahe neunzigjährigen Hans Mayer, dessen Produktivität im hohen Alter uns ein neues Buch aus seiner Feder beschert hat: „Erinnerung an Brecht“.

Mayer ist als Lehrer, Inspirator und Freund von Schriftstellern, Publizisten und Germanisten selbst schon ein Teil Literaturgeschichte. Das Namensverzeichnis seiner Erinnerungen liest sich wie das „Who's who“ der jüngsten europäischen Geistesgeschichte. Irgendwann ist er ihnen allen einmal begegnet: Kurt Tucholsky, Carl Schmitt, Theodor Lessing, Carl Jacob Burckhardt, Robert Musil, Thomas Mann, Georg Lukacs, Hanns Eisler und Peter Suhrkamp. Schriftsteller wie Uwe Johnson, Christa Wolf und F.C. Delius haben als Studenten in seiner Vorlesung gesessen.

Den Namen Brecht hat der Fünfzehnjährige das erste Mal im Berliner Tageblatt gelesen – das war im Jahr 1922. Der Gymnasiast verfolgt die verbalen Rangeleien der Feuilletons um das junge Talent Brecht vor 75 Jahren – den Schlagabtausch zwischen Alfred Kerr im Berliner Tageblatt und Karl Kraus in der Wiener Neuen Freien Presse. Die Lektüre von Brechts „Hauspostille“ wird ihm zum Erweckungserlebnis. Unter den jungen Kölner Intellektuellen waren diese Gedichte ebenso populär wie die Lieder aus der „Dreigroschenoper“, es gehörte zum gepflegt-antibürgerlichen Ton, die Melodien von Kurt Weill auf dem Klavier zu spielen. Mayer erinnernt sich, wie die „Dreigroschenoper“ trotz sittlicher Bedenken lokaler Würdenträger schließlich auch in Köln aufgeführt wurde: „Man hatte den Text etwas retuschiert. Polly hatte sich zu der Maxime bekannt, im Liebesfalle müsse man sich ,doch einfach hinlegen‘. In Köln hatte sie zu erklären, man müsse sich ,doch einfach hingeben‘. Was viel obszöner klang.“

1931 wird der frisch promovierte Jurist Hans Mayer aus bürgerlichem Haus dem damals schon berühmten Dichter vorgestellt. Als sich die beiden nach dem Krieg kennenlernten, kann sich Brecht an diese Begegnung freilich nicht mehr erinnern.

In den 30er Jahren verliert Mayer, der sich politisch nicht auf die Linie der Thälmann-KPD trimmen läßt, Brecht und seine Arbeit aus den Augen: „Nach außen hin mußte Brecht als getreuer Gefolgsmann Stalins und seiner deutschen Parteifreunde empfunden werden“, schreibt Mayer. Erst im Schweizer Exil besucht er wieder die großen Premieren der Brecht- Stücke am Zürcher Schauspielhaus. Nach dem Krieg arbeitete Mayer zunächst beim Sender Frankfurt, 1948 wurde er als Professor für Literaturgeschichte an die Universität Leipzig berufen. Im gleichen Jahr kam Brecht nach Ost-Berlin. An den Empfang des Kulturbunds für den Dramatiker im einstigen „Herrenklub“ des Franz von Papen in der Jägerstraße, an den etwas hilflos und freundlich wirkenden Brecht, der die Begrüßungszeremonie stumm über sich ergehen ließ, kann sich Mayer noch gut erinnern. Was Brecht an diesem Abend die Sprache verschlagen haben mochte, hat Peter Huchel in einem ungedruckten Erinnerungstext beschrieben: „Brecht hatte termingerecht sein Hotel verlassen. Als er im Kulturbundhaus in der Jägerstraße Einlaß begehrte, wies ihn der Pförtner ab, er kannte Brecht nicht und nahm an dessen salopper Kleidung Anstoß. Brecht blieb offenbar nichts anderes übrig, als ins Hotel zurückzugehen. Vorschrift für den Empfang war Uniform oder Abendanzug. Brecht saß dann etwas hilflos, fast scheu, ein grauer kleiner Vogel zwischen den goldbetreßten Uniformen der sowjetischen Offiziere.“

Als Huchel das Unternehmen „Sinn und Form“ Ende 1948 mit einem Sonderheft zu Bert Brecht beginnt, beteiligt sich neben Ernst Niekisch und Herbert Ihering auch Mayer mit einem Aufsatz, den er Satz für Satz mit dem Meister durchspricht. Diese Arbeitsgemeinschaft begründet eine persönliche Beziehung, die bis zum frühen Tod Brechts 1956 andauerte.

Mayer holt Brecht zu Veranstaltungen an die Universität nach Leipzig und hält selbst Vorträge in Berlin am Theater am Schiffbauerdamm. Er reist mit Brecht und Huchel zum PEN-Kongreß nach Amsterdam und macht beiden, die beim Vortrag eines holländischen Romanisten über Surrealismus sprachlich nicht mitkommen, leise klar, „das Zuhören lohne sich nicht“. Er besucht eine Probe der „Mutter Courage“ und überzeugt sich von der Sorgfalt des Dramaturgen: „Es ging um die Mütze des Kochs. Anwesend waren neben Brecht und Erich Engel auch der Kostümbildner Kurt Palm (...) Nun probierte man Mützen an. Mützen mit entsprechender Beleuchtung: nach einer halben Stunde bin ich weggegangen.“

Brecht war eine Instanz in der DDR, er nutzte seine Autorität aus, um den schlimmsten Auswüchsen der SED-Kulturpolitik die Spitze zu nehmen. Er starb zur Unzeit, wie Mayer schreibt, als die kurze Phase des Tauwetters in eine neue Eiszeit umschlug und die Verhaftung von Janka, Harich, Loest und anderer für die Disziplinierung der Intellektuellen sorgen sollte. Mayer gibt in seinen Erinnerungen an Brecht – sieht man von wenigen Episoden ab – kaum etwas Neues preis. Aber darum geht es auch nicht in diesem 100-Seiten-Essay. In dem Text steckt ein Bekenntnis zur ungebrochenen Aktualität des Dichters Brecht, der, wie Ionescu meinte, „nicht elementar, sondern unterentwickelt“, „nicht schlicht und einfach, sondern ein Vereinfacher“ sei. Ginge es nach Mayer, er würde den Vorwurf nicht gegen Brecht, sondern gegen seine Vereinfacher richten.

Hans Mayer: „Erinnerung an Brecht“, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1996, 100 S., 24 DM.

Hans Mayer: „Brecht“ (enthält 13 weitere Aufsätze und Reden Mayers zu Brecht), 510 S., 58 DM.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen