: Spitzhacke und Dolch statt Kreuzstichen und Schweigen
■ Von der ersten bekannten Berufsschriftstellerin: Christine de Pizan und ihrer "Stadt der Frauen"
In Minerva-Gestalt doziert Christine de Pizan vor Gelehrten
Ein paar selbstverfaßte Zeilen, um die Stimmungswolken über dem Gemüt des Gatten zu verscheuchen – kein Problem. Kreuzstichgewordene Heiterkeit und Gottesfurcht - entzückend. Doch damit genug des eigenen Ausdrucks. Die oberste weibliche Tugend Ende des 14. Jahrhunderts hieß schließlich „Schweigen“. Umso tollkühner und pikanter scheint da das Leben der Christine de Pizan, die schrieb, sich öffentlich empörte, daraus bare Münze machte und so obendrein sich und ihre Kinder mit Mäzenengunst versorgte.
Die gebürtige Venezianerin und erste bekannte Berufsschriftstellerin startete um 14OO einen einsamen Angriff gegen die patriarchalen Moral-, Rechts- und Historienschriften ihrer männlichen Kollegen. Und nach einer Zeit, in der sich ihr Ruhm sicherlich auch aus dem Reiz des Absonderlichen und Neuen, eben aus dem ungewohnten Bild der publiziernden Frau speiste, entwickelte sich die Autorin gar zu einer in ganz Europa umstrittenen wie bewunderten Edelfeder. De Pizan bringt ihre Vorstellungen zur Reform der französischen Gesellschaft zu Papier, ruft in gepfefferten Streitschriften zur Beendigung des Bürgerkrieges auf und verfaßt sogar einen Leitfaden zum Gebrauch von Dolch und Degen (Das Buch vom Fechten und von der Ritterschaft, 1406).
Bis heute weiß die feministische Kulturgeschichtsschreibung nicht, wie sie De Pizans Schaffen einzuordnen hat. War sie eine Vorkämpferin der Emanzipation oder nur eine Zeugin versäumter Möglichkeiten? Auch das jüngst erschienene Buch Wege in die Stadt der Frauen, das die Berliner Romanistik-Professorin und Pizan-Übersetzerin Margarete Zimmermann herausgegeben hat, malt hier nur Fragezeichen in die Luft. Es unternimmt keine feministische Neudeutung und verweigert sich jeder kritischen Werkanalyse. Auch für die aufgebrochene weibliche Dichotomie des Privaten und des Öffentlichen interessiert es sich nur beiläufig. Nett und ein bißchen hausbacken kommt es daher und läßt sich hier und da zu pathetischem Lispeln hinreißen. Zum Beispiel dann, wenn Zimmermann de Pizan posthum dankend die Hände drückt: „Welch ein Glück für die Nachwelt, sonst wären wir um die seltene und deshalb so kostbare Stimme einer Frau aus dem Mittelalter ärmer geblieben.“ Häppchenweise Texte und 21 Miniaturen, die De Pizan beim Studieren, Dozieren oder Diskuttieren mit allegorischen Frauengestalten zeigen. In diesen Illustrationen inszeniert die Schriftstellerin sich immer wieder als Weise oder Wortgewaltige. In melancholischer Kopfhaltung trauert sie über die Demütigungen frauenfeindlicher Schriften oder den frühen Pest-Tod ihres Mannes. Sein Sterben brachte ihre „Wiedergeburt“ und zugleich eine geschlechtliche Paradoxie mit sich: „Staunend spürte ich mein starkes und kühnes Herz und merkte, daß ich wirklich ein Mann geworden war.“ Trotzdem sind es die Worte berühmter Frauen aus Mythen und Legenden, aus denen Christine ihr Hauptwerk Stadt der Frauen, baut. Hier regieren weibliche Intellektuelle: Allegorische Gestalten wie „Vernunft“ und „Rechtschaffenheit“ liefern sich als universelle Frauenbeauftrage heftige Diskussionen und verfassen nebenbei elegante Abrisse der männlichen Kulturgeschichte.
An Geltungssicherheit und Selbstbewußtsein mangelte es De Pizan nie. Bereits 1405 war sie sich sicher: „In künftigen Zeiten wird man mehr von dir sprechen als zu deinen Lebzeiten, denn: Du kamst zu einer schlechten Zeit auf die Welt.“ Birgit Glombitza
Wege in ,Die Stadt der Frauen', Hrsg. v. Margarete Zimmermann, Leib & Seele Mediaconcept, Zürich, Hamburg, 1996, 120 Seiten
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