■ Schlagloch: Kinkel in den Ruhestand Von Klaus Kreimeier
„Wenn Sie der iranischen Regierung etwas sagen wollen“, so der iranische Außenminister in einem an die Adresse der Bundesregierung gerichteten Interview, „dann sollten Sie es offiziell tun und nicht zulassen, daß irgendein Gericht in dem einen Land die Regierung eines anderen Landes verurteilt.“ Ali Akbar Welajati bezieht sich mit seiner Bemerkung auf den „Mykonos“-Prozeß und die Ermittlungen der deutschen Staatsanwälte, die den Hang des iranischen Regimes zu staatsterroristischen Umtrieben aufgedeckt haben. Die Zeit reihte die Äußerung in ihre Hitliste der Worte des vergangenen Jahres ein – zweifellos, um die Ruchlosigkeit zu dokumentieren, mit der hier eine Regierung eine andere auffordert, Einfluß auf ein schwebendes Verfahren, Richter und Staatsanwälte auszuüben.
Daß den Ayatollahs die Vorstellung einer unabhängigen Justiz fremd ist, dürfte sich freilich herumgesprochen haben; im übrigen hat Außenminister Klaus Kinkel mit seiner teils larmoyant, teils drohend vorgetragenen Bemerkung, ein Schuldspruch gegen Mitglieder der iranischen Regierung könne „eine äußerst schwierige Situation“ heraufbeschwören, auf der Gegenseite den Eindruck erweckt, er selbst nehme es mit der Unabhängigkeit deutscher Richter nicht so genau. Daß Kinkel andererseits die Fortsetzung seines „kritischen Dialogs“ vom Urteil eben jenes Berliner Gerichts abhängig zu machen gedenkt, das er gleichzeitig klammheimlich ein bißchen unter Druck zu setzen sucht, beleuchtet das ganze Elend unserer Außenpolitik.
Gerichte sind nicht dazu da, der Regierung bequeme Urteile auf dem Silbertablett zu servieren. Schwierige, sogar „äußerst“ schwierige Situationen bestimmen den grauen Alltag in dieser Welt – wäre dem nicht so, könnte man die Außenminister aller Länder sorglos in jenen Ruhestand schicken, dem sich manche von ihnen schon in ihrer Dienstzeit hingeben. Aber Kinkel ist nicht lernfähig. Ausgerechnet von seinem iranischen Kollegen muß er sich sagen lassen, er möge doch bitte seines Amtes walten und Außenpolitik betreiben, anstatt sich hinter den Gerichten zu verstecken. Denn nichts anderes als diese Aufforderung enthält ja der erste Teil des Welajati- Zitats: Sagen Sie es uns bitte offiziell, Herr Kinkel, wenn Ihnen unsere Politik nicht paßt. Eine offenbar notwendige Erinnerung daran, daß der Inhalt von Außenpolitik allemal das Ausüben von Politik sein soll, nicht aber das Erfinden taktisch raffiniert klingender Phrasen, vom „kritischen Dialog“ bis zur „stillen Diplomatie“.
„Je dürftiger der Anspruch von Politik, um so schwindsüchtiger auf Dauer auch die Demokratie.“ Dies hat ein CDU-Mitglied, Warnfried Dettling, gesagt. In der Tat: Nimmt man den Verfall des Politischen – als eine autonome Qualität repräsentativen Handelns im Interesse des Gemeinwohls und zur Durchsetzung national und international verbindlicher Grundsätze – zum Maßstab, so ist das Siechtum der Demokratie in diesem Land vorgezeichnet. Die Dürftigkeit unserer Außenpolitik, die in Kinkel ihre angemessene Figur gefunden hat, signalisiert dabei ein objektives, keineswegs nur für Deutschland gültiges Dilemma: den schleichenden Abbau des konzeptionellen Denkens in der Politik und die „Schwindsucht“ politischer Courage unter der alles erdrückenden Dominanz der Ökonomie und einer immer gnadenloseren, „Globalisierung“ genannten Konkurrenz unter den führenden Industrienationen.
Politik degeneriert zur Verwaltung realer Ohnmacht angesichts nicht mehr durchschaubarer wirtschaftlicher Prozesse und technologischer Innovationen, die sich wiederum mit einer bisher unbekannten Rasanz auf die Ökonomie auswirken. Die Situation erfindet ihre Repräsentanten. Und so haben wir denn mit Klaus Kinkel einen Außenminister, der es in aller Öffentlichkeit fertigbringt, über Menschenrechte zu reden und im gleichen Atemzug Erwägungen über den drohenden Verlust von Arbeitsplätzen – sprich: den Rückgang der deutschen Marktanteile – anzustellen. Als Chef des Auswärtigen Amts befindet er sich in der mißlichen Lage, aussprechen zu müssen, was für die Industriebosse selbstverständliche Handlungsmaxime und auch im Kabinett längst zur Leitlinie geworden ist.
Eine Politik, die sich nur noch als exekutives Instrument wirtschaftlicher Zwangsläufigkeiten versteht, anstatt gegenzusteuern, wenn die Marktdynamik elementare Rechte zu verschlingen droht – eine solche Politik hört eben auf, Politik zu sein. Sie verkommt zu jener real existierenden Scheußlichkeit, die unser Kanzler folgerichtig „Realismus“ nennt. Realistisch ist danach die ebenso einfallslose wie verhängnisvolle Kapitulation vor der Fatalität der Ökonomie – alles andere „Predigertum“, ein Kohl- Verdikt, das die Verfechter der Menschenrechte als blasse Idealisten abstempeln soll, de facto jedoch den Gedanken einer substantiellen, eigenständig operierenden und ihren eigenen Prinzipien verpflichteten Politik verhöhnt. Bedauerlicherweise wird die Diskussion über die Menschenrechte bei uns von allen Seiten so geführt, als handele es sich um eine westliche Religion, an der die Welt gefälligst zu genesen habe – oder aber (andersherum) um einen etwas penetranten westlichen Spleen, eine euro-amerikanische Vorliebe für Gleichmacherei, die anderen Kulturen das Recht auf ihre „Besonderheiten“ verweigere. So kommt es, daß jene, die einer hemmungslosen wirtschaftlichen Globalisierung das Wort reden und als Politiker entsprechend handeln, sich nicht selten als leidenschaftliche kulturelle Relativisten offenbaren, wenn es gilt, über Mord und Folter in asiatischen oder afrikanischen Diktaturen hinwegzusehen. „Gegenseitiger Respekt“ heißt dies in der Sprache Kinkels – eine Formel, die alles wieder ins Lot brachte, nachdem der Bundestag im Sommer die Lage der Menschenrechte in Tibet kritisiert und die chinesische Führung unseren Außenminister daraufhin ausgeladen hatte, nur ein paar Monate später jedoch beide Seiten auf ihrer „Suche nach Gemeinsamkeiten“ herausfanden, daß nunmehr alle Mißverständnisse „restlos bereinigt“ (Kinkel) seien und es, im Licht der (ökonomischen) Vernunft betrachtet, eigentlich gar keinen Anlaß zum Streit gegeben habe.
So sieht die „Menschenrechtspolitik“ unserer Regierung aus. Das Elend beginnt bereits mit dem Begriff, der zu einer Unterabteilung des Regierungsapparats degradiert und im Zweifelsfall in den Schubladen des Auswärtigen Amts verschwinden läßt, was doch ein Kernelement politischen Handelns sein sollte und weder an die Konzerne noch an die Gerichte delegiert werden kann: der Grundsatz, daß alles zu tun sei, um politische Verfolgung einzudämmen und den staatlichen Terrorbetrieben den Boden zu entziehen. Wenn Politik harmlos wird, beginnt sie gefährlich zu werden.
Klaus Kreimeier, geboren 1938, arbeitete in den 60ern beim „Spiegel“, in den 70ern als Dozent an der Berliner Film- und Fernsehakademie. Seit 1976 ist er Publizist, Filmhistoriker und Medienkritiker. Seine letzten Bücher erschienen bei Hanser: „Die UFA-Story“ und „Lob des Fernsehens“. Er wird, an Stelle von Mathias Greffrath, alle vier Wochen in der taz Kolumnen schreiben.
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