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Über den Dächern von Hamburg

■ Die Künstlerin Birgit Jaenicke zeigt lichtempfindliche Bodengemälde in ihrem Atelier hoch oben im Grindel-Hochhaus

Die Grindel-Hochhäuser, als erste ihrer Art im Nachkriegsdeutschland zu Beginn der fünfziger Jahre gebaut, haben unter dem Dach Reste von visionären Räumen: Gemeinschaftssäle und Künstlerateliers. Seit 1987 verfügt Birgit Jaenicke hier über einen fünf mal zehn Meter großen Raum mit einem Fensterband an drei Seiten. Und so ist es kein Wunder, daß das im 14. Stock ständig wechselnde Licht wichtiger Faktor ihrer Malerei wurde.

Seit Juni letzten Jahres hat sie an einem Bodengemälde gearbeitet, dessen sanfte Farbrhythmen jetzt vor Ort zu sehen sind. In einem Prozeß von über hundert Schichtungen entstand eine differenzierte Farbmasse. Der Pigmentkörper ist mit Schichtstrichen auf Gaze aufgebaut. Dabei begann die Künstlerin oben links mit senkrechtem Pinsel die Farben aufzutragen - so weit, wie der Arm reicht. So entstehen sich überlagernde, ungenaue Radien, die in ihrer Wellenförmigkeit an Sanddünen oder Wasserlinien erinnern.

Im Verlauf der Bearbeitung werden die Farben und die Oberfläche des acht Quadratmeter großen Pigmentkörpers so strukturiert, daß geringfügige Lichtveränderungen einen Wechsel in den Wahrnehmungsmustern von Bild und Gegenstand auslösen kann. Dabei erscheint das Bild mal als ein stoffliches Material, wie ein edler Teppich, und mal in seinen Grün-Ocker-Rot-Tönungen wie eine Wiedergabe biologischer Formen.

Die Positionierung auf dem Boden erzwingt Blickwinkel, die nie das ganze Bild frontal erfassen können. So wandert das Auge über das Bildobjekt und fokussiert unterschiedliche Stellen, geht mit dem Artefakt also wie mit einem realweltlichen Gegenstand um. Und dessen Anmutungen wechseln auch noch mit den unterschiedlich eingenommenen Standpunkten.

Die ganze, stille Arbeit über Verdichtung und Auflösung kann so nur in der Situation vor Ort genossen werden, beim Ablösen vom Boden werden sich aller Voraussicht nach nur Bruchstücke erhalten. Die allerdings werden dann weiter bearbeitet und der Reihe der unregelmäßig geformten Bildgegenstände eingegliedert, von denen einige Beispiele ebenfalls zu sehen sind – wie sonst üblich an der Wand.

So gerne die 39jährige Künstlerin BesucherInnen in ihr Atelier bittet, auf eine kleine Einschränkung legt sie Wert: „Die Bodenarbeit ist nicht begehbar und die Ausstellungssituation daher leider für Kinder und Hunde nicht geeignet.“

Hajo Schiff

Hallerstr. 5F, 14. Stock, noch Do, 16., und Mi, 22., Januar, jeweils 12-15 Uhr, sowie Fr, 17. und Di, 21. Januar, jeweils 17-20 Uhr

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