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Debatte zur Arbeitslosigkeit wurde abgewürgt

■ Scharping (SPD): Koalition hat „verlottertes Parlamentsverständnis“. Hörster (CDU): Opposition hat keine Vorschläge. Fischer (Grüne): Her mit der Ökosteuer

Bonn (taz) – SPD und Bündnisgrüne hatten für die gestrige Bundestagssitzung „Rambazamba“ angekündigt, falls ihr gemeinsamer Antrag auf eine Arbeitsmarktdebatte im Bundestag abgelehnt würde. Doch das erschöpfte sich in einem kurzen Aufstöhnen, als Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth bekanntgab, daß der Antrag mit der Mehrheit der Stimmen der Koalitionsparteien abgelehnt sei.

SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping und Grünen-Sprecher Joschka Fischer behaupteten später, die Bundestagspräsidentin habe die Mehrheit der Opposition ignoriert. Laut Scharping habe man aber auf einen „ritualisierten Streit“ mit der Bundespräsidentin verzichten wollen. Ein bißchen gerächt hat sich die Opposition dafür bei der Wahl der stellvertretenden Bundestagspräsidentin Michaela Geiger. Entgegen den Gepflogenheiten stimmten 36 Mitglieder gegen die CSU-Kandidatin, 116 enthielten sich. Dennoch wurde Michaela Geiger mit einer deutlichen Mehrheit gewählt.

In einer spontan einberufenen Pressekonferenz kündigten Scharping und Fischer an, den Bundeskanzler noch in diesem Monat zur Abgabe einer Regierungserklärung über die Lage am Arbeitsmarkt im Bundestag zwingen zu wollen.

Scharping kritisierte, die Ablehnung einer Debatte über die Arbeitslosigkeit zeige, daß die Koalition allenfalls „ein taktisches Verhältnis“ zur Frage der Arbeitslosigkeit habe und sprach von einem „verlotterten Parlamentsverständnis“. Joschka Fischer sagte, daß das Parlament mit der Mehrheit der Koalitionsstimmen entmündigt und lächerlich gemacht worden sei. Schließlich gehe es angesichts der Rekordarbeitslosigkeit von über vier Millionen um eine „Schicksalsfrage“, um „Lohn und Brot“, um „Perspektiven für die Jugend“. Bundeskanzler Kohl bezeichnete er als „Kneifer“.

Die CDU berief sich darauf, daß eine weitere Debatte über Arbeitslosigkeit nicht weiterhelfe. „Wir müssen handeln, nicht reden“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU- Fraktion, Joachim Hörster. Es mache keinen Sinn, mit der Opposition über Arbeitslosigkeit zu diskutieren, solange sie keine eigenen Vorschläge mache.

Die Frage eines Journalisten nach den Konzepten der Opposition wies Fischer barsch zurück. Er sei es leid, solch einen Blödsinn zu hören. Schon seit langem fordere die Opposition etwa den Abbau der Überstunden, nun sei auch Bundeskanzler Helmut Kohl plötzlich auf den Zug aufgesprungen. Zudem weigere sich die Regierung beharrlich, die Pläne zur Ökosteuerreform umzusetzen. Markus Franz

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