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■ Das ist Spitze! Der "Zukunftstarif 99" sorgt im Haushalt 1999 für eine Deckungslücke von knapp 44 Milliarden Mark. Unwahrscheinlich bleibt damit auch, daß Deutschland die Kriterien für eine gemeinsame europäische Währung erfüllen kannDer

Das ist Spitze! Der „Zukunftstarif 99“ sorgt im Haushalt 1999 für eine Deckungslücke von knapp 44 Milliarden Mark. Unwahrscheinlich bleibt damit auch, daß Deutschland die Kriterien für eine gemeinsame europäische Währung erfüllen kann

Der Euro rückt in weite Ferne

Er kommt, er kommt nicht. Keine Woche, in der nicht mindestens ein Landesbankchef, Handwerkspräsident oder Politiker sich über den Euro ausläßt. Die Herren können sich ihre Spucke sparen. Seitdem Finanzminster Theo Waigel gestern seine Steuerreform vorgestellt hat, ist eines klar: Die Staatsverschuldung wächst schneller, als je gespart werden kann. Deutschland wird weder 1997 noch 1999 die Konvergenzkriterien erfüllen, so wie bereits 1996 das Minus in der Kasse zu groß war. Damit rückt der Euro in weite Ferne.

Durch die geplante Einkommensteuersenkung werden dem Finanzminister 1999 nach heutiger Rechnung 81,95 Milliarden Mark fehlen. Theo Waigel will diese Deckungslücke durch die Streichung von Abschreibungsmöglichkeiten in Höhe von 38,12 Milliarden Mark gegenfinanzieren. So sollen die bislang steuerfreien Sonntags- und Feiertagszuschläge gestrichen werden, was 2,2 Milliarden Mark bringt. Die Senkung der Werbungskostenpauschale von 2.000 auf 1.300 Mark spült 3,9 Milliarden in Waigels Kasse, die neue Entfernungspauschale bedeutet 4,2 Milliarden Mark Entlastung. Zudem soll der Fiskus künftig Zugriff auf Abfindungen und Auslandszulagen bekommen. Außerdem werden Arbeitslosengeld und -hilfe und das Schlechtwettergeld besteuert.

Für Unternehmen ändert der Finanzminister die Abschreibungsmöglichkeiten für Maschinen und Gebäude sowie die Besteuerung von Rückstellungen. Auch die Veranschlagung von Wohngebäuden soll zurückgefahren werden. Summa summarum will Waigel hier 20 Milliarden Mark holen. Doch das alles schließt die Finanzierungslücke durch die geplante Steuerreform nicht einmal zur Hälfte: Fast 44 Milliarden fehlen. Und darin ist der abgesenkte Solidaritätsbeitrag noch nicht eingerechnet, der ab 1998 mit einem Minus von 7,5 Milliarden Mark zu Buche schlägt.

Einen Teil der fehlenden Milliarden soll daher eine höhere Mehrwertsteuer bringen. Pro Prozentpunkt kommen 16 Milliarden Mark in die Kasse. Waigel will angeblich nur einen Punkt auf 16 Prozent hochgehen. Oppositionspolitiker und Vertreter der deutschen Wirtschaft bezweifeln das unisono. Sie rechnen mit mindestens zwei Prozentpunkten.

Der Haushalt wird damit 1999 in keiner Weise ausgeglichen sein. So wie Waigel schon im vergangenen Jahr 18,4 Milliarden Mark mehr aufnehmen mußte und die Neuverschuldung auf 78,3 Milliarden Mark trieb, wird es weitergehen. Sogar ohne die Mindereinnahmen der Steuerreform wird sich bis 1999 das Staatsdefizit auf 85 Milliarden Mark summiert haben. Doch um die Euro-Kriterien zu erfüllen, müßte Waigels Nachfolger es schaffen, 1999 mit 15 bis 16 Milliarden Mark Neuverschuldung auszukommen. Dann bereits hätte Deutschland 1999 die im Maastricht-Vertrag gesetzte Marke von drei Prozent Neuverschuldung erreicht.

Und was bedeutet das Ganze für Konjunktur und kranken Arbeitsmarkt, die die Bundesregierung mit der Reform therapieren will? Die Reichen werden ihr zusätzliches Kapital in Betriebe stecken, in denen mehr Leute einen Job finden, weil die Nachfrage gestiegen ist, so die Rechnung. Dann zahlen auch die Neuarbeitnehmer Steuern und konsumieren eifrig, anstatt mit leerem Geldbeutel zu Hause zu sitzen. Und das füllt wiederum die Staatskasse. Von der Grundidee, da sind sich die meisten einig, ist das richtig. Doch das gigantische Finanzloch macht diese Träume leicht zunichte. Zum einen werden Einsparungen im Bundeshaushalt zu weniger Investitionen und weniger Neueinstellungen führen – was beides für den Arbeitsmarkt negativ ist. Eine höhere Mehrwertsteuer hingegen wird den Konsum bremsen. Für viele in den unteren Einkommensgruppen wird die Reform vermutlich ein Nullsummenspiel: Zwar ist die Lohntüte voller, dafür aber auch die Rechnung an der Supermarktkasse höher.

Die Bauwirtschaft jammerte gestern bereits über die verschlechterten Abschreibungsmöglichkeiten für Häuslebauer. „Da sagen die Leute, ich kauf' mir lieber Bundesschätzchen – die rufen mich nicht nachts an wegen eines Rohrbruchs wie die Mieter“, so Edgar Leonhardt vom Zentralverband des deutschen Baugewerbes. Er rechnet damit, daß bis zum Stichtag verstärkt Bauaufträge abgeschlossen werden und anschließend der Markt massiv einbricht.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt hingegen interpretiert die Neuregelungen als fortgesetzte Subventionierung der Reichen. Vermieter könnten sich auch künftig die Kosten für Leerstand und zu geringe Mieteinnahmen vom Staat abholen, indem sie Steuerminderung geltend machen. „Das führt nach wie vor zu einer künstlichen Überteuerung des Immobilienmarkts.“ Außerdem würden die Abschreibungen Reiche weiter reicher machen, während Normalverdiener die Regelung gar nicht in Anspruch nehmen könnten. Eichstädt schlägt deshalb ein Modell vor, das sehr vielen Steuerzahlern zugute kommt und zugleich die Jobs in der Bauwirtschaft erhält: Jeder Bürger soll das Recht haben, sein zu versteuerndes Einkommen um jährlich bis zu 5.000 Mark zu mindern, wenn er Geld in einen Fonds investiert. Der soll dann Kommunen und anderen Interessenten zinsgünstige Darlehen für ökologisch sinnvolle Altbau- und Altlastensanierung anbieten. Ulrike Fokken/Annette Jensen

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