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Dem kleinen Tiger auf der Spur

Pop-art aus dem Land der Plüschtiere und Spielzeugroboter im Haus der Kulturen der Welt wirft die Frage auf: Wie taiwanesisch ist sie, die zeitgenössische taiwanesische Kunst  ■ Von Tilman Baumgärtel

Über die erste Station von „Taiwan: Kunst heute“ gibt es eine Anekdote. Als die Ausstellung vergangenes Jahr im Aachener Forum für Internationale Kunst, in einem Gebäude, in dem sich früher die größte Schirmfabrik Europas befand, eröffnet wurde, fragte jemand, warum die Fabrik heute nicht mehr existiere. Die Antwort lautete, daß die meisten Regenschirme dieser Welt heute in Taiwan hergestellt werden.

In der „Ersten Welt“ werden immer mehr Industrieanlagen und Fabriken zu Museen umgewandelt. Dort wird dann Kunst ausgestellt, die aus den Ländern kommt, in die die industrielle Produktion abgewandert ist. Nicht überraschend daher, daß auch die Entwicklung der Kunstszene Taiwans, die derzeit im Haus der Kulturen der Welt dokumentiert wird, eng mit der wirtschaftlichen Expansion des Inselstaats verbunden ist: mit dem Aufstieg von einem „anti- kommunistischen Bollwerk gegen Rotchina“ zu einem der vier wirtschaftlich starken „kleinen Tiger“ Südostasiens. Die Auswahl von zehn Künstlern und einer Künstlerin, die in enger Zusammenarbeit mit dem Taipeh Fine Arts Museum zusammengestellt wurde, ist die bisher größte Präsentation von Kunst aus Taiwan in Deutschland.

Seit der Aufhebung des Kriegsrechts und der künstlerischen Zensur im Jahr 1987 hat sich in Taiwan eine eigenständige Kunstszene entwickelt, die auch die verwirrende Geschichte des ehemaligen Formosa reflektiert. Die Insel war durch die Jahrhunderte von verschiedenen Kolonialherren beherrscht, die alle ihren kulturellen Einfluß auf Taiwan ausübten. Die Bevölkerung besteht jedoch zum größten Teil aus Nachkommen chinesischer Einwanderer, die sich mit der taiwanesischen Urbevölkerung vermischt haben.

Die „Heimatbewegung“, die sich in den siebziger Jahren entwickelte und die Grundlage für die heutige Kunstszene bildete, war darum die Suche nach einer Heimat, die es nie gegeben hat: Taiwan ist ein kultureller Hybrid. Entsprechend sind die Arbeiten im Haus der Kulturen der Welt das Ergebnis eines Prozesses, der im Ausstellungskatalog „die Taiwanisierung von Taiwan“ genannt wird: der Konstruktion einer nationalen Identität, die es so gar nicht gibt und auch nie gegeben hat.

Wer an Dinge denkt, die „made in Taiwan“ sind, dem werden wahrscheinlich zuerst billige Konsumgüter einfallen. Weniger Regenschirme vermutlich, sondern eher Reisewecker, Transistorradios oder komische kleine Spielzeugroboter, die langsam einen Schritt vor den nächsten setzen und auf dem metallenen Bauch eine kleine rote Lampe haben, die im Takt dazu blinkt. Tatsächlich spielen einige der ausgestellten Arbeiten mit dieser Anmutung von Trash und mit Ornamenten überfrachteter Wühltischware.

Das riesige Gemälde „Feuer“ von Huang Chin-ho zum Beispiel, das die untere Halle dominiert, ist mit Popfarben gemalt, die in den Augen schmerzen. Es zeigt eine merkwürdige, detailversessene Untergangsszenerie, halb „Blade Runner“, halb „A Chinese Ghost Story“. Tropische Vegetation überwuchert postmoderne Glasfassaden, kopflose Transvestiten stehen neben dämonischen blauen Figuren, die an chinesische Gruselmärchen erinnern.

Auch die Arbeiten von Chu Chiahua spielen mit dem Halb- Schick von billiger Imitation und falschem Glamour. Natur ist in seinen Arbeiten durch Talmi und Nippes ersetzt worden. Vor einer Wand aus knatschbunten Samtstoffen hängen zwei Reifen, in denen Plüschpapageien hocken. Chiahua ist der Künstler in der Ausstellung, der am konzeptionellsten arbeitet und dessen Arbeiten darum auch westlichen Betrachtern am leichtesten zugänglich sein dürften. Bei einer Kunstmesse strich er einige Pfeiler in leuchtenden Farben, auf einem Gemälde setzte er seinen Namen auf eine Liste mit Kunst-Übervätern wie Beuys, Duchamp, Warhol oder Kosuth. Auch die Collagen aus alten Fotos und modernen Accessoires eines Wu Tien-Chang treffen sich mit westlichem Pop- Bewußtsein.

Unzugänglicher für den westeuropäischen Betrachter sind die Arbeiten von Lee Ming-Tse, die Titel wie „Ewiger Kreislauf von Wind und Wasser“ tragen, oder die Gemälde der Feministin Yen Ming- Hui. Was auf den ersten Blick wie ein Bild einer Blume mit sich öffnenden Blütenblättern erscheint, ist bei genauerem Hinsehen eine Vagina. Auch die Arbeiten von Hung Tung, einem künstlerischen Autodidakten, der in Taiwan in den 70er Jahren als Begründer einer eigenständigen taiwanesischen Kunst galt, weil er in seinen „naiven“ Bildern „zu den Ursprüngen zurückgegangen ist“, erschließen sich Deutschen nur mühsam.

Anders die finsteren Ölbilder von Lu Hsien-Ming: Er hat eine plastische Oberfläche aus Acryl mit Leinwand grundiert und darauf menschenleere Großstadtlandschaften entworfen. Seine beeindruckendsten Bilder zeigen die monumentalen „Fly-overs“, die riesigen Autobahnbrücken Taipehs, in dramatischen Kompositionen.

Unklar bleibt bei dieser Ausstellung jedoch, wie die vielbeschworene Identität des Inselstaates denn nun aussehen soll – und das ist wahrscheinlich auch gut so. Ob die 50 Werke, die in Berlin zu sehen sind, wirklich einen repräsentativen Überblick über die Kunstszene Taiwans bieten, sei mal dahingestellt. Nebenbei erscheint es auch etwas problematisch, daß die Auswahl zum größten Teil durch die Sammlung eines einzigen Museums bestimmt ist.

Aber als Kennzeichen eines homogenen „taiwanesischen Bewußtseins“, von dem im Katalog immer wieder die Rede ist, kann man die Arbeiten im Haus der Kulturen der Welt nicht betrachten – eher als Ausdruck einer sich entwickelnden pluralistisch-homogenen Gesellschaft.

Bis zum 15. Februar, Di.–So. 11–19 Uhr, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee, Tiergarten. Katalog 34 Mark

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