: Vor vier Jahren brannte in Dolgenbrodt bei Berlin ein bezugsfertiges Asylbewerberheim ab: Brandstiftung. Ein Täter wurde verurteilt, das ganze Dorf der Anstiftung beschuldigt. Jetzt wurden mögliche Drahtzieher verhaftet Von Constanze v. Bullion
Das Dorf der Ehrenwerten
Reichlich tief hängen die vier Nasen über den Biergläsern. Nein. Einmütiges Kopfschütteln. Nichts, gar nichts hat man gehört. Nichts gesehen. Nichts gewußt. Von dem Brand nicht und von dem Geld auch nicht. Die bierseligen Herren im Blaumann, die ab und zu einen glasigen Blick durch den Tabaksdunst im Gasthof „Kober“ wagen, sind ganz sicher.
Bis plötzlich einer mit der üblen Nachricht rausrückt. Einer aus dem Dorf, mit der Zeitung in der Hand. „Der Gerd“, sagt er, „die haben auch den Gerd abgeholt.“ Das schlägt ein. Reißt die vier Nasen aus den Gläsern. Ungläubiges Schweigen. Endlich setzt einer die schwere Zunge in Bewegung. „Unser Gerdchen sitzt ein? Gestern hat er doch noch einen getrunken. Hier, mit uns. Unser Gerdchen im Knast, das gibt es nicht.“
Gibt es doch. Aus dem Mitte seiner Gemeinde gerissen wurde am Donnerstag Gerd G., 48 Jahre alt, von Beruf Elektriker aus Dolgenbrodt bei Berlin. Mitgenommen hat ihn die Polizei. Er ist der fünfte im Bunde, der beim Haftrichter landete. Und womöglich nicht der letzte, der verpfiffen wird: von zwei jungen Männern, die der Staatsanwaltschaft gesteckt haben, wer sie 1992 aufgehetzt hat gegen das geplante Asylantenheim. Wer gezahlt hat, damit es verschwindet. Wer die Augen zugemacht hat, als es brannte. Und aufgeatmet, als alles vorbei war. Weil endlich Ruhe einkehren sollte in das idyllische Dorf an der Dahme, wo man blitzblanke Datschen und Schäferhunde liebt, nur keine verfluchten Fremden.
In Dolgenbrodt heißt der Fluch jetzt „Presse“. Die schleicht, mit Kamera und Mikro bewaffnet, schon morgens um das Haus des Bürgermeisters. Ein stolzes Anwesen, das Backsteindomizil mit Blick auf den Dolgensee. „Das Grundstück habe ich vom ehemaligen Innenminister der DDR gekauft“, erklärt der bärtige Hausherr und läßt sich im Ledersessel zurückfallen. Unbeirrt erklärt Karl Pfannenschwarz, was Zusammenhalten heißt in Dolgenbrodt.
„Ich bin immer noch bevollmächtigt von Herrn O.“, sagt er. Im Klartext: Der Rechtsanwalt, der kurz nach dem Brand Bürgermeister von Dolgenbrodt wurde, vertritt zur Zeit Blumenhändler Thomas O. Gegen den wird wegen Brandstifteranstiftung und Meineids ermittelt. Man habe ihn „um Beistand gebeten“, sagt Pfannenschwarz. Er steht dem U-Häftling bei: „Gegen Silvio Jackowski, der wurde wegen Brandstiftung verurteilt. Wenn er behauptet, O. habe laufend Schweigegeld gezahlt nach dem Brand, lügt er.“ Punktum.
Man müsse sich den „unwahrscheinlichen Protest“ gegen das geplante Asylantenheim und die „fassungslose Angst der Einwohner“ vor Augen halten, meint Pfannenschwarz. „Das kann ich den Leuten nachfühlen“, legt er nach, „es ist ja bekannt, daß sich rund um Asylbewerberheime die Einbrüche häufen und die Leute belästigt werden.“
Nein, belästigen lassen will man sich nicht in Dolgenbrodt. Schon gar nicht mit unangenehmen Fragen. „Nein, nein“, ruft Seniorin Aust und schlägt die Tür zu. „Nicht schon wieder“, stöhnt der Nachbar von Blumenhändler O. und springt hinter seine Kreissäge. Auch Klempner Wilhelm will nicht mehr „diesen Dünnschiß in der Zeitung“ lesen und trägt eilig ein paar Holzscheite zum rietgedeckten Häuschen. Aber dann sagt er doch, was ihm auf der Seele brennt. „Die Asylanten wären nie weggekommen vom Ort. Hier gibt's nur zweimal die Woche einen Bus, und der Konsum ist auch dicht. Die hätten sich doch selber versorgt im Ort.“ Gratis und aus Nachbars Garten, klar.
Frank Wilhelm denkt, daß alle hier sind wie er: „nicht ausländerfeindlich“. Aber „froh, daß die Schwarzafrikaner nicht gekommen sind“. Dazu hat er sein Scherflein beigetragen. Hat weitergeschlafen, als in der Brandnacht die Sirene heulte. Obwohl er zur freiwilligen Feuerwehr gehört. „Bei Ostwind und Nebel hört man das nicht. Hier ist oft dicke Luft.“
Dicke Luft ist auch auf dem ehemaligen Gutshof von Dolgenbrodt. Das Schloß hat man abgerissen. In einem der übriggeblieben Fachwerkhäuser wohnt Jürgen Sch. Der wurde auch abgeholt. Weil er von hier losgefahren sein soll, um Heizöl zu holen. Und das Zeug in den schäbigen Holzbau hinterm Haus brachte. Dort, so gestand sein Stiefsohn Marco, habe man die Mollies gebastelt, die ins Asylantenheim flogen.
Was für ein Typ dieser Sch. ist, der seinen Stiefsohn beim Zündeln hilft? Ein Eigenbrötler, heißt es knapp in der Dorfkneipe. Ein bißchen unsicher sind die Herren allerdings inzwischen. Erste Risse in der Dolgenbrodter Front?
Mit dem Blumenhändler will man jedenfalls nie viel zu tun gehabt haben. Marianne Walzer, die Frau des Polizeichefs würde es dem möglichen Drahtzieher „ins Gesicht sagen“, daß die Sache „eine Schande fürs ganze Dorf“ ist. Eigentlich habe man den Asylbewerbern ohnehin nur die Angriffe der Skins vor Ort ersparen wollen. Dann setzt sie sich ab hinter ihre Primeltöpfe. Wer zuviel plaudert, wird womöglich morgen vorgeladen. „Wenn jetzt die Wahrheit ans Licht kommt“, tröstet sich Gastwirt Gerhardt Kober, „dann ist endlich Ruhe.“ Der wortkarge Schankwirt fühlt sich „diskriminiert“. Auch er ist Feuerwehrmann, hat gepennt, als es brannte. Daß Fremde ihm „jetzt mit dem Finger auf die Tür zeigen“, findet er „beschämend für einen unschuldigen Menschen“.
Verleumdet, in den Schmutz gezogen, gekränkt gibt man sich in Dolgenbrodt. Und betrogen. „Erst hieß es, hier kommen Sinti und Roma her“, beklagt sich Mathias Neef, „bei denen ist Klauen doch Handwerk. Hinterher hieß es dann, das waren Afrikaner.“ Man wolle keine Rassentheorien aufstellen, lenkt der Kurzgeschorene ein. Heute abend geht er zur Gemeindeversammlung.
„Ich komme nur, wenn auch über die Grundstücke geredet wird“, murmelt ein Mittrinker. Nicht die verhafteten Nachbarn beunruhigen ihn. Daß er sein Haus nicht ausbauen darf, ist ärgerlich. Alteigentümer haben in Dolgenbrodt Ansprüche auf 600 Grundstücke angemeldet. Eine „Halbjüdin“ sei in deren Familie, das mache die Sache knifflig, sagt man. Und daß „Pfanne“ nichts gegen den Baustopp unternehmen will.
„Pfanne“, das ist Bürgermeister Pfannenschwarz. Einen von „drüben“ nennen sie ihn. Er sieht das anders. Der Schwabe, einst Landtagskandidat der DKP, siedelte 1956 in die DDR über und wurde Dozent für Strafrecht an der Ostberliner Humboldt-Uni. SED- Verwaltungschef Horst Dolus habe er kürzlich verteidigt, erzählt er. Der Mann in Lederloden, der sichtlich aufblüht im Rampenlicht, steht zu seiner Biografie. Und fühlt sich zu Hause in Dolgenbrodt. Auf den Datschen sitzen bis heute greise SED-Obere. „Wir waren früher prominent und werden auch künftig wieder prominent sein.“
Dafür, daß die Bonner Ministerialräte sich hier erholen, wenn Berlin endlich Regierungssitz ist, will „Pfanne“ sich einsetzten. Und dafür, daß der Boden bis dahin nicht „unter Niveau“ verkauft wird. Unter Niveau war für ihn zum Beispiel, was für das abgefackelte Grundstück neben O.s Blumenladen geboten wurde. „Ich habe mehrere Verkäufe verhindert“, gibt der Bürgermeister zu, „das Terrain hat weit über 5.000 Quadratmeter.“ Von einer möglichen Verlängerung bis ans Wasser munkelt man im Dorf; statt 50 Mark brächte das Seegrundstück dann 150 Mark pro Quadratmeter – da käme schon einiges zusammen. Um Bares geht es in Dolgenbrodt, ging es wohl schon damals. Hinter vorgehaltener Hand spricht man über den „warmen Abriß“ der Asylantenbaracke. Vor laufenden Kameras, das haben die Dolgenbrödtler gelernt, bedauert man den Brand wortreich. Im Gemeindehaus, wo sich am Abend neugierige Journalisten zwischen patzige Rentner drängeln, sagt der Bürgermeister es noch mal. Daß er „sehr betrübt“ ist über diesen „schweren Schlag für unser Dorf“.
Wann er sein Mandat für den möglichen Drahtzieher des Anschlags niederlegt, läßt er offen. Der Gemeinderat habe ihm „nahegelegt“, zu verzichten. Sonderlich gern scheint er nicht aus dem Blitzlichtgewitter zu verschwinden. Ein Trost: Kollege Robert Unger, der Egon Krenz im Politbüroprozeß verteidigte, soll die Sache übernehmen. Man kennt sich. Und hält zusammen in schwerer Zeit. Bis der nächste abgeholt wird.
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