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Millionen in Köpfe versickert

■ "Mißbrauch" von EU-Mitteln: Arbeitsverwaltung investierte in Qualifikation Arbeitsloser. EU-Kommissar teilt Fördermodell Berlins. Grüne: Früher aufklären

Die „Affäre“ um den Mißbrauch von Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) in dreistelliger Millionenhöhe löst sich in wohlgefälliges Stirnrunzeln auf. Arbeitsstaatssekretär Peter Haupt (SPD) berichtete gestern dem Arbeitsausschuß, daß der EU-Kommissar für Soziales und Beschäftigung, Padraig Flynn, gesperrte Berliner ESF-Mittel schnellstmöglich freigeben wolle. Haupt brachte diese Nachricht aus Brüssel mit.

Der Arbeitsstaatssekretär sicherte zu, daß er die Vorwürfe von Intransparenz bei der Mittelverwendung „aufnehmen wird“. Er werde sicherstellen, daß die in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) eingesetzten EU-Mittel künftig eigens ausgewiesen werden. Bei einer Kontrolle hatten die Prüfer der Kommission jüngst moniert, daß das Land ESF-Gelder zur Qualifizierung in ABM verwendet; deren Verbleib sei nicht immer nachvollziehbar gewesen. Brüssel sperrte Mittel von rund 100 Millionen Mark. Zeitungen hatten daraufhin gemutmaßt, beim Euro- Musterknaben Deutschland könnten EU-Gelder versickert sein.

Diesen Vorwurf hielt gestern auch die Opposition nicht mehr aufrecht. Gleichwohl nahmen PDS und Bündnisgrüne die Arbeitsverwaltung ins Gebet. Sie warfen dem Arbeitsstaatssekretär vor, weder rechtzeitig noch ausreichend die Vorwürfe aufgeklärt zu haben. Dazu zählte Sibyll Klotz (Bündnisgrüne), daß Haupt die Sperrung des Euro-Geldes für Berlin geleugnet habe. Klotz wies empört den Vorwurf zurück, daß die Opposition den Ruf des Landes geschädigt habe. „Wenn Brüssel Gelder sperrt, dann müssen wir im Parlament nachfragen“, sagte Klotz.

Der SPD-Arbeitsmarktexperte Peter Haupt ging trotzdem in die Offensive. Er sagte, Brüssel teile „unsere Philosophie“, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit Qualifizierung zu kombinieren – und dies über ESF-Mittel zu finanzieren. Das Land habe auf diese Weise zwischen 1994 und 1996 56.000 Personen fortgebildet. Haupt legte eine Studie vor, die die Ausnahmestellung Berlins bei der Weiterbildung im Vergleich zu anderen Bundesländern belegt.

Die Sinnhaftigkeit von Arbeit und Bildung bestätigen auch Fortbildungsinstitute. In der Kiezküche e.V. geht ein 20prozentiger Anteil an „integrierter Qualifizierung“ ein. Schwer vermittelbare Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren lernen unter Anleitung parallel zum Job – auf Kosten der EU. Von der Küche geht es dann in den Unterrichtsraum, wo Theorie gepaukt wird. „Gerade bei solchen Jugendlichen ist es wichtig, daß wir sie über produktive Tätigkeiten ans Buch heranführen“, sagte Gabriele Kummetz (Kiezküche). cif

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