: Verbrechen der Wehrmacht - Kontroverse Ansichten
„An dieser Ausstellung stört mich, daß hier das Bild wirkt. Diese grauenvollen Bilder berühren ja sehr stark.“ In diesem bemerkenswerten Satz faßt sich die Kritik des Generals Wolfgang Altenburg an der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ zusammen. Ein Berufssoldat findet Soldaten-Fotos von Erschießungsszenen und von toten Menschen grauenvoll. Immerhin. „Für mich ist die Institution Wehrmacht ein Instrument des Dritten Reiches gewesen, mit dem ein Vernichtungskrieg geführt wurde“, sagt Altenburg. Kein Widerspruch also in der Sache.
Die Debatte über die These, die hinter der Ausstellung steht, hat bisher in Bremen auf einem peinlichen Niveau stattgefunden. Politiker, die nie ein wissenschaftliches Buch über das Thema gelesen haben, schwadronieren davon, die Autoren des Hamburger Instituts für Sozialgeschichte seien „unwissenschaftlich“. Der wissenschaftliche Band, der hinter den Fotos der Ausstellung steht, umfaßt eine ganze Serie von Aufsätzen, 685 Seiten grauenvoller Quellen-Berichte und Analysen über die deutsche Wehrmacht im Vernichtungskrieg. Keiner der Bremer Ausstellungskritiker hat bisher auch nur einen Satz auf dem Niveau dieses Bandes zu sagen gehabt. Wenn das Symposium am 26. Februar einen Sinn haben soll, dann müssen sich die Kritiker des Ausstellungsortes „Untere Rathaushalle“ auf das Thema einlassen .
Bisher wiederholen die Kritiker des Ausstellungsortes nur den Einwand, der Titel „Verbrechen der Wehrmacht“ sei zu pauschal und zu verallgemeinernd formuliert. Aber was, wenn nicht „Verbrechen“, war denn der Krieg insgesamt, mit dem die deutsche Wehrmacht in halb Europa ein Blutbad anrichtete? Natürlich war es ein verbrecherischer Krieg, und wenn die Bundeswehr-Generäle anläßlich dieser Ausstellung über die Legitimation von Landesverteidigung reden wollen, dann können sie ja schlechterdings nur die Niederländer, Franzosen, Tschechen, Polen, Ukrainer, Russen und andere Opfer des Wehrmacht-Eroberungskrieges meinen. Die Hamburger Ausstellung thematisiert nicht das Verbrechen des Krieges, sondern das Verbrechen im Verbrechen , den systematischen Mord der Wehrmacht an jüdischer Zivilbevölkerung. Jahrzehntelang hat auch die bundesdeutsche Geschichtsschreibung diese Tatsache beschönigt und verschwiegen. Die aktuelle „Verteidigungslinie“ beschränkt sich darauf, zu behaupten, „wahrscheinlich nur eine winzige Minderheit“ der Wehrmacht habe sich an Kriegsverbrechen beteiligt, die „überwiegende Mehrheit“ sei „mit dem Verbrechen überhaupt nicht in Berührung gekommen“. Dies behauptet etwa der über London abgeschossene Kampfflieger Rüdiger Proske, den die Bremer CDU als Kronzeugen ihrer Kritik am Ausstellungsort benannt hat. Proskes Stellungnahme ist aus seiner Biografie durchaus verständlich, daß er einen Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Material geleistet hat, das die Hamburger Historiker ausgebreitet haben, ist bisher nicht behauptet worden.
Derzeit gibt es interessante Bemühungen, durch eine „Gegenausstellung“ im Haus des Parlaments über den Widerstand innerhalb der Wehrmacht 1944 die „Verbrechen der Wehrmacht“ zu relativieren. Jede Ausstellung über den Widerstand gegen Hitlers Weigerung, die militärische Niederlage der Wehrmacht rechtzeitig einzugestehen, wird aber daran gemessen werden müssen, ob sie uns irgend etwas berichten kann über Widerstand in der deutschen Armee gegen die Einbeziehung der Wehrmacht in Hitlers Vernichtungskrieg. Wenn eine Ausstellung über den 20. Juli 1944 indirekt bestätigt, daß es nichts über einen Widerstand gegen den Vernichtungskrieg der Wehrmacht zu berichten gibt, dann bestätigt sie nur unfreiwillig die These des Hamburger Instituts für Sozialforschung.
Mit einem kleinen Auszug aus einem Aufsatz von Hannes Heer über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht in der Ukraine 1941 wollen wir vor Augen führen, was die Hamburger Autoren meinen, wenn sie von „Verbrechen der Wehrmacht“ sprechen – und alle Kritiker der wissenschaftlichen Arbeit des Instituts provozieren, endlich etwas zur Sache zu sagen.
Klaus Wolschner
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