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Sozialhilfe will beim Kleidergeld sparen

■ Neue Verordnung soll Einzelfallentscheidung der Sozialhilfebehörden aufheben. Ein bundesweiter Einheitssatz soll angeblich die Verwaltungskosten senken

Berlin (taz) – Bei ihren Bemühungen, Geld einzusparen, widmet sich die Bundesregierung einem der beliebtesten Streichposten: der Sozialhilfe. Nach Plänen des Ministeriums für Gesundheit und Soziales sollen Einzelleistungen wie Kleidergeld künftig bundesweit einheitlich mit der Sozialhilfe überwiesen werden. Bisher hat jede Sozialhilfebehörde nach eigenem Ermessen über die Gewährung von sogenannten einzelnen Leistungen – beispielsweise für den Kauf eines Wintermantels – zu entscheiden. In Zukunft sollen Kinder unter 14 Jahren monatlich 35 Mark, Erwachsene 47 Mark erhalten. Im Vergleich zu den bisher im Durchschnitt gezahlten Einzelleistungen ließen sich damit pro Stützeempfänger 40 Mark jährlich einsparen. Für „geringfügige Anschaffungen“, so der Verordnungsentwurf, seien keine Zuschüsse mehr vorgesehen.

„Es wird keine Einsparungen in der Substanz geben“, beteuerte Hartmut Schlegel, Sprecher des Ministeriums. Er widersprach Befürchtungen, die Sozialhilfeempfänger müßten den Gürtel wieder einmal enger schnallen. Vielmehr werde der durch pauschale Zahlungen vermiedene Verwaltungsaufwand Einsparungen von 250 Millionen Mark ermöglichen. Außerdem, so Schlegel, beende eine bundesweite Regelung die Ungerechtigkeit, daß manche Antragsteller mehr Geld bewilligt bekommen als andere.

Die Arbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen wies darauf hin, daß viele Kommunen bereits seit Jahren Pauschalzahlungen von Kleidergeld und ähnlichen Leistungen praktizieren. Nach Berechnungen des Sozialausschusses in Hildesheim von 1992 sei ein überdurchschnittliches Kleidergeld für Sozialhilfeempfänger für die Behörden billiger als etwa aufwendige Einzelbewilligungsverfahren. In Bremen besteht seit 1988 die Wahlmöglichkeit zwischen Pauschalzahlung und Einzelantrag. Zu einem Rechtstreit hatte vor zwei Jahren die geschlechtsspezifische Höhe der Bekleidungspauschale in Frankfurt am Main geführt. Dort klagte ein Mann dagegen, weniger Kleidergeld als eine Frau zu bekommen – vergeblich. Daß Frauen in allen Schichten mehr Geld für ihre Garderobe ausgeben als Männer, so entschied das Gericht, bilde einen sachlichen Grund für „geschlechtsspezifische Differenzierung“.

Ganz andere Probleme bekommen die Kommunen in Baden- Württemberg. Dort seien Pauschalen gezahlt worden, die zehn Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen, berichtet die Arbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen. Wenn die Verordnung, die in den nächsten Wochen veröffentlicht wird, in Kraft treten sollte, müssen sich dort zum nächsten Winter die Sozialhilfeempfänger beiderlei Geschlechts warm anziehen. Leif Allendorf

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