: Die Ziehung der Paten
■ Kulturrat weicht VolksvertreterInnen nicht mehr von der Seite
Ruhe ist bekanntlich seit Kaisers Zeiten die erste Bürgerpflicht. Allein die Bremer KulturschöpferInnen und -hüterInnen halten sich nicht daran. Unter dem Motto „Kultur-Los statt kulturlos“ versammelten sie sich vor der gestrigen Parlamentssitzung vor dem Haus der Bürgerschaft und rührten über den ganzen Marktplatz hörbar die Lostrommel. Ein jeder gerade zur Erfüllung seiner Amtsgeschäfte vorbeikommende Abgeordnete und eine jede SenatorIn wurde von den UnruhestifterInnen mit dem Ansinnen behelligt, aus einem Sektkühler das Namenskärtchen eines Kulturpaten oder einer Patin zu ziehen. Bis zum Sommer, so der Plan, sollen sich die Paare näherkommen und die PolitikerInnen über kulturelle Dinge unterrichtet werden, damit die noch bestehende Vielfalt nicht durch weitere Einsparungen zerstört werde.
Schon trat der stellvertretende Bürgermeister und Finanzsenator Ulrich Nölle (CDU) auf: „Einen Paten? Das brauch' ich nicht“, rief er und eilte von dannen. Andere ParlamentarierInnen schlichen schüchtern vorbei oder wichen auf der Suche nach einem Geheimeingang aus. Doch wieder andere erklärten sich durch Teilnahme zu Bedürftigen!
Beinahe geschlossen traten die Abgeordneten der Bündnisgrünen an, um ihre Hand in den Lostopf zu strecken. Die ehemalige Kultursenatorin Helga Trüpel wird sich demnach von der Künstlerin Anne Schlöpcke in ihr Metier einweisen lassen. Derweil hat der Vorsitzende des Vulkan-Untersuchungsausschusses, Hermann Kuhn, im Literaturkontor-Mitglied Bernd Gosau nach eigenen Angaben den geeigneten Partner gefunden, beim Schreiben des Abschlußberichtes literarisch versierte Hilfe zu bekommen. Die Möglichkeit zu einem Tausch auf Gegenseitigkeit entdeckten einige ganz von selbst, andere aber mußten erst darauf aufmerksam gemacht werden.
Wie immer rührig, schritt die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Carmen Emigholz, zur Tat und überredete GenossIn um Genossen, es den Bündnisgrünen gleichzutun. Angeführt von SPD-Fraktionschef Christian Weber trat ein halbes Dutzend SozialdemokratInnen durch die Glastür. Auch die leicht verspätet erscheinende Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) bekam einen Paten: Der Performance-Veranstalter Gustav Gisiger zog „das goldene Los“ und kündigte die Einladung zu vertraulichen Gesprächen beim Käse-Fondue an.
Hausmannskost steht dagegen bis auf weiteres auf dem Speiseplan der Abgeordneten von AfB und CDU. Nur die AfB-Sprecherin Elke Kröning ließ sich die Kammerphilharmonie-Geschäftsführerin Vera van Hazebrouk zulosen. Von den anderen war dagegen keine Spur. Dazu CDU-Sprecher Guido Niermann auf Nachfrage: „Wir haben unsere Kulturdeputierten, die kümmern sich Tag und Nacht um die Kultur.“
„Das ist undemokratisches Verhalten“, schimpfte Norbert Kentrup (Shakespeare Company). Doch der Kulturrat ist auch dafür gerüstet: Im umgekehrten Losverfahren wurde allen ein Pate zugestanden. So darf Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) mit einem Anruf der Galeristin Claudia Delank, Bürgerschaftspräsident Reinhard Metz (CDU) mit einer Nachricht des Komponisten Patrice Chopard und Bürgermeister Henning Scherf (SPD) mit einer freundlichen Aufforderung des Künstlers Nikola Blaskovic rechnen. ck
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