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Öffentlicher Dienst in privater Hand

■ Geheime Studie von Siemens und Debis über Verwaltungsaufgaben des Bundes

Düsseldorf (taz) – Die Bundesregierung will offenbar die Privatisierung von Verwaltungsaufgaben des Bundes vorantreiben. Wie aus einer bisher geheimgehaltenen Studie vom November 1996 hervorgeht, könnten die Leistungen des Bundes im Bereich der Personalausgaben von der freien Wirtschaft um 20 Prozent günstiger bearbeitet werden. Dies hat eine Projektgruppe der Unternehmen Siemens Nixdorf und Debis im Auftrag der Bundesregierung festgestellt. Die Studie wurde gestern abend in Düsseldorf auf dem Kongreß des von der Regierung eingesetzten Sachverständigenrates „Schlanker Staat“ vorgestellt, der ersten Messe für Effizienz in der öffentlichen Verwaltung.

Die Studie geht davon aus, daß in den Bereichen Besoldung, Vergütung, Lohn und Versorgung beim Gehobenen Dienst etwa 40 Prozent und beim Mittleren Dienst etwa 80 Prozent der anfallenden Arbeiten im Bereich der Personalausgaben privatisierungsfähig sind und insofern Einsparungspotential darstellen. Konkret geht es um 258.000 Auszahlungen pro Monat, unter anderem für Bezüge, Reisekosten, Trennungsgeld und Umzugskosten. Die Ausgaben für diese Leistungen könnten der Studie zufolge von 145 Millionen Mark pro Jahr auf 113 Millionen gesenkt werden. Dies soll in erster Linie durch Einsparung von Personal möglich sein. Statt rund 2.000 Beschäftigter würde nur noch die Hälfte gebraucht. Die Bedeutung der Studie ergibt sich trotz des relativ geringen Einsparbetrags von knapp 30 Millionen Mark daraus, daß sie für weitere Privatisierungsbestrebungen Schule machen könnte.

Die Studie relativiert ihre Annahmen allerdings selbst. Sie räumt ein, daß sich durch Optimierungsmaßnahmen des Bundes „ein erhebliches Einsparpotential“ erkennen lasse. DGB-Vorstandsmitglied Regina Görner kritisierte die Studie als „erstaunlich unseriös“. So sei bei dem Angebot der Industrie nicht die Mehrwertsteuer eingerechnet worden. Zudem werde der Kostenvorteil dadurch verringert, daß „überflüssige Beschäftigte“ nicht so ohne weiteres neue Arbeitsplätze finden würden.

Statt die Beschäftigten des Bundes zu verunsichern, sei es besser, die Effizienz der Arbeit zu verbessern. So müßten die „Strukturen militärischen Denkens, von Befehl und Gehorsam, von Kontrolle und Mißtrauen“, beseitigt werden. Ein neues Denken sei erforderlich, das eine konsequente Dienstleistungs- und Kundenorientierung fördere. Zudem gehe es darum, zu erkennen, daß die wichtigste Ressource des öffentlichen Dienstes nicht die Haushaltsmittel, sondern „das Gold in den Köpfen der Beschäftigten“ sei.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats „Schlanker Staat“ und stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Rupert Scholz, forderte gestern dagegen, daß sich die öffentliche Verwaltung „ungleich stärker als bisher“ des sogenannten Outsourcing besinnen sollte. So etwa bei der Betreibung von Fuhrparks, Kläranlagen, Heizwerke, Abfalleinrichtungen, Straßen. „Die Staatlichkeit ist an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten“, sagte Scholz. Als Begründung führte er an: Die Staatsqoute sei von 1989 von 46 auf über 50 Prozent gestiegen. Das vollzeitbeschäftigte Personal von Bund, Ländern und Gemeinden im alten Bundesgebiet habe sich von 1950 mit 1,3 Millionen mehr als verdoppelt. Die jährlichen Bürokratiekosten für die Wirtschaft durch behördliche Auflagen, komplizierte Genehmigungs- und Planungsverfahren etc. betrage mehr als 58 Milliarden Mark. Der Personalkostenanteil an den Gesamtausgaben betrüge bei den Ländern 38,7 und beim Bund 11,5 Prozent.

Dagegen warnt ein am Dienstag von SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping vorgestelltes Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Anspielung auf den schlanken Staat vor dem „dürren Staat“. Die Autoren Ulrich Pfeiffer und Bernd Faller plädieren statt dessen für eine „qualitätsorientierte“ Verwaltungsreform. Markus Franz

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