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Noch'n Bündnis: Mehr arbeiten, weniger lernen

■ GEW warnt vor Ausverkauf der beruflichen Bildung in der Wirtschaft

„Lehrlinge zu billigen Arbeitskräften“, so charakterisierte Hamburgs GEW-Vorsitzende Anna Ammon gestern das Ziel des „Hamburger Bündnisses für Ausbildung“. Das war am vergangenen Freitag von der wirtschaftspolitischen Runde um Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) beschlossen worden – über die Köpfe der an der Berufsausbildung direkt Beteiligten hinweg, wie Ammon und vier Gewerbe- und Handelsschulleiter kritisierten. 500 bis 1000 zusätzliche Ausbildungsplätze soll das Bündnis pro Jahr schaffen – angesichts von 4000 Jugendlichen, die jährlich beim Kampf um Lehrstellen in Hamburg leer ausgehen.

„Vage Absichtserklärungen“ nannte Ammon die Pläne, durch die „Ausweitung der betrieblichen Arbeitszeiten“ neue Lehrstellen zu schaffen. Auf eine pädagogische Begründung für das Prinzip „weniger Schule, mehr Arbeit“ werde ohnehin völlig verzichtet, dafür das duale Ausbildungssystem gefährdet.

Der hohe „Standard der Hamburger Berufsschulen“ sei bedroht, fürchtet Dieter Schütt von der Handelsschule 2 und Mitglied im Ausschuß für Berufsausbildung, der bislang zum Bündnis ungefragt blieb. Mit acht statt sechs Stunden Unterricht täglich ließe sich zwar die Kapazität erhöhen, aber die Qualität des „Standortfaktors Berufsausbildung“ könne sich dadurch nur verschlechtern.

Statt Sportunterricht sollen die Jugendlichen ab 1998/99 Gutscheine für Sportvereinsbeiträge bekommen. „Eine absolute Katastrophe“, sagte der Leiter der Gewerbeschule 12, Hartmut Schulte, der viele lernbehinderte Schüler ausbildet und weiß, was es bedeutet, wenn dieser „Streßabbau“ wegfällt. Verkürzte Schulzeiten führten nur zu mehr Abbrüchen, warnte er. Gerade eine Einschränkung des stärker allgemeinbildungsorientierten Lernbereichs 2 reduziere die Chancen von Lernbehinderten. Im Außenhandel gehören auch Fremdsprachen zu diesem Bereich, hier sei keine Stunde kürzbar, ergänzte Hans Schröder, Leiter der Handelsschule in Wandsbek.

Das Bündnis sei eine „Trendumkehr auf dem Ausbildungsmarkt“, beharrte gestern Schulsenatorin Rosemarie Raab (SPD). Wie die vollmundig propagierten Pläne praktisch umgesetzt werden sollen, müssen nun Lenkungsausschüsse, zusammengesetzt aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern sowie Vertretern des Amtes für Schule, ermitteln. Statt modernisieren zu können, dürfen sie nun eher Rückschritte verhindern.

Julia Kossmann

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