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Rechnung ohne den Patienten gemacht

Heute Runder Tisch ohne Hafenkrankenhaus. Moratorium gefordert  ■ Von Silke Mertins

Die Erwartungen sind hoch: Heute trifft sich zum ersten Mal der Runde Tisch, das „St. Pauli Fo-rum“, um sich mit der Krise auf dem Kiez und der Schließung des Hafenkrankenhauses zu befassen. Doch Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD), der vom Senat als Verhandlungsführer eingesetzt wurde, hat keinen einzigen Vertreter des Krankenhauses eingeladen.

Mit am Tisch sitzen statt dessen zahlreiche Repräsentanten der Wirtschaft, zum Beispiel vom Gaststättenverband, vom Crone Tabakwaren-Großvertrieb, von der Handelskammer und der Tourismus-Zentrale. Kommen dürfen auch die ÖTV, der Ärztliche Direktor des AK St. Georg und ein Vertreter des LIONS-Clubs.

„Verarschung“ nannte das gestern die Initiative „Ein Stadtteil steht auf“. Von ihrer Seite ist lediglich Frank Eyssen für die Ini und Simone Borgstede von den BesetzerInnen geladen. „Wo bleiben die Betroffenen?“ fragt sich Borgstede. Ausländische St. PaulianerInnen – rund die Hälfte der Stadtteil-Bevölkerung – seien nur mit der Internationalen Begegnungsstätte vertreten. Zuerst müsse deshalb über die Modalitäten des Runden Tisches verhandelt werden, so die Hafenkrankenhaus-AktivistInnen. Sie fordern nicht nur eine andere Zusammensetzung, sondern haben als erstes Etappenziel auch die Einrichtung eines Moratoriums vor Augen. Dies käme einer Aussetzung des Schließungsbeschlusses gleich.

Sie bestreiten auch die „sachlichen“ Argumente des Landesbetriebes Krankenhäuser und der Gesundheitsbehörde. In der Nacht vom vergangenen Sonntag auf Montag sei etwa ein Patient mit Darmverschluß in die Kiezklinik gebracht worden, erzählte Krankenschwester Karin Heming gestern. Weil weder das AK St. Georg noch das AK Altona Operationskapazitäten frei hatten, machte ein Hafenkrankenhaus-Arzt den OP fertig. Als St. Georg davon erfuhr, mußte der Patient verlegt werden. Dort aber habe man ihn trotz der lebensbedrohlichen Situation zweieinhalb Stunden liegen lassen.

Auch das Drogenhilfe-Projekt Stay Alive berichtet, daß es in einem Notfall am vergangenen Donnerstag nicht gelungen sei, ein Krankenhausbett zu bekommen. Von Überkapazitäten könne deshalb keine Rede sein. Viele Alkohol- und Drogenkranke, berichtet der niedergelassene Arzt Klaus Weber, würden in anderen Kliniken zudem nicht aufgenommen und einfach weggeschickt.

Eine seiner PatientInnen sei an Blutvergiftung gestorben, weil sie nicht im Hafenkrankenhaus bleiben durfte und im AK St. Georg in ein Acht-Betten-Zimmer statt auf die Intensivstation kam. Daß jemand abgewiesen oder schlecht behandelt wurde, „habe ich im Hafenkrankenhaus noch nie erlebt“, so Weber. „Und deshalb kämpfe ich für diese Klinik.“

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