: „Galt als diszipliniert und war politischer Soldat“
■ Der Polizistenmörder Kai Diesner war fest in Neonazi-Organisationen integriert
Berlin (taz) – Der mutmaßliche Polizistenmörder und Marzahn- Attentäter Kai Diesner ist seit Jahren in der Szene für militante Anschläge ausgebildet worden. Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach erinnert sich, daß Diesner seit Anfang der 90er Jahre regelmäßig an Wehrsportlagern teilnahm und lernte, mit scharfen Waffen umzugehen. Sicherheitskreise handeln ihn auch als möglichen Verdächtigen, der Hasselbach 1993 eine Briefbombe ins Haus schickte. Der Fall wurde bisher nicht aufgeklärt.
Während der gemeinsamen Tage 1990 im besetzten Haus in der Weitlingstraße wurde Hasselbach Diesners Ausbilder: „Es gab Leute, die wurden mehr im Hintergrund gehalten, um nicht gleich zu verbrennen. Diesner war einer von denen, von denen es keine Fotos, keine Fingerabdrücke geben sollte.“ Aus dem Umfeld der „Nationalen Alternative“ (NA) entwickelte sich die militante Gruppe SrN, die „Sozialrevolutionären Nationalisten“. Diesner gehörte laut Hasselbach beiden Gruppen an. Die SrN gelten als Vorläufer jener Gruppe, die später als loser Zusammenhang mit dem Namen „Weißer Arischer Widerstand“ auftrat und zu der sich Diesner nach seiner Verhaftung vergangene Woche zurechnete.
Sowohl NA wie auch SrN organisierten ab 1991 diverse Wehrsportlager in Brandenburg und auf der Insel Rügen. „Dabei wurde auch mit scharfen Waffen geübt“, sagt Hasselbach. Interne Unterlagen der NA belegen, daß die Neonazis regelrecht Krieg spielten: „Vom 26. 6. 1992 bis zum 28. 6. 1992 werden wir versuchen, ein Zeltlager nach militärischen Bestimmungen durchzuführen“, heißt es in einer NA-Einladung. „Es wird mit der militärischen Grundausbildung begonnen.“ Und weiter: „Waffen sollte jeder bei sich haben.“ Weitere Wehrsportlager, teilweise unter militärischen Namen wie „Intensivausbildungslager Wehrhaase“, folgten. Auch mit Pump-Guns – mit einer solchen erschoß Diesner am 23. Februar den Polizisten Stefan Garge und verletzte zuvor den Marzahner PDS-Buchhändler Klaus Baltruschat schwer – wurde seit längerem geübt. „Einmal wartete in meiner Wohnung der Neonazi Bendix Wendt und spielte stolz mit einer Pump-Gun herum“, erinnert sich Hasselbach.
Nach Auflösung der NA widmete sich Diesner verstärkt der sogenannten Anti-Antifa-Arbeit: Er bespitzelte linke Jugendliche, sammelte Namen, Daten und Fotos von politischen Gegnern, unter anderem der PDS. Nach Informationen der taz traf es den Buchladen in Marzahn nicht zufällig: Bereits vor zwei Jahren kursierten in der Szene eine Reihe von Anschlagszielen im Rahmen der „Anti-Antifa“. Ebenfalls dabei: der Laden von Klaus Baltruschat. Damals habe man schließlich davon Abstand genommen, so ein Insider. Bis sich Diesner am vorvergangenen Mittwoch daran erinnerte.
Der Anschlag auf den Buchhändler war für den mutmaßlichen Todesschützen nicht die erste „Anti-Antifa-Aktion“: Am 1. Mai 1994 nahm er zusammen mit anderen Neonazi-Aktivisten heimlich an der Mai-Demonstration autonomer Gruppen teil – vermummt und gewalttätig. Polizeibeamte nahmen ihn als vermeintlichen „Autonomen“ fest; später wurde Diesner wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und Widerstand zu einer Geldstrafe verurteilt. „Er galt als überlegt und diszipliniert, als politischer Soldat“, so Ingo Hasselbach. Obwohl sich Diesner dem „Weißen Arischen Widerstand“ (WAW) zurechnet, spricht einiges dafür, daß hinter dem Marzahner Attentat keine feste Gruppe steht. Der WAW hatte sich 1992/93 in Berlin als „Werwolf“-Zelle gebildet, allerdings keine dauerhaften Strukturen entwickelt. Holger Stark
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