■ Kolumne: „Das sieht ja aus wie Jazz!“
Vor einigen Jahren erzählte mir ein Bekannter, bei Harry's Hafenbasar stände eine riesige Jazz-Sammlung zum Verkauf, und kaum eine Platte koste mehr als zehn Mark. Wer die Unsummen kennt, die normalerweise für einigermaßen erhaltene ältere Jazz-Platten bezahlt werden, versteht meine Aufregung. Nicht weniger verständlich dürfte auch meine Enttäuschung sein angesichts der Tatsache, daß es sich bei den Platten um Werke von Chris Barber, der Old Merry Tale Jazz Band usw. handelte.
An diese Begebenheit mußte ich denken, als ich vor zwei Wochen den Tatort Das andere Leben mit Manfred Krug sah. Der Film, der in Hamburger Musikerkreisen spielte und Gastauftritte von Bill Ramsey, Paul Kuhn und Gottfried Böttger enthielt, war aus mehreren Gründen interessant.
Zum einen mußte Regie-Urgestein Jürgen Roland offensichtlich erst 70 werden, bis er sich milde kleine Meta-Scherze erlauben konnte wie: „Das ist hier kein Tatort und nicht Das große Fressen“(Krug, als ihm eine leckere Wurst angeboten wird), und: „Der sieht ja aus wie Bill Ramsey“(Krug zu seinem Assistenten bei einem Gespräch mit dem von Bill Ramsey verkörperten Charakter.)
Dann dachte ich mir, wie schön es ist, daß der NDR offensichtlich noch keine oder eine nur schlecht funktionierende Marketingabteilung hat. Denn der von der Klassik-Nachtigall geschmetterte Titelsong hätte haargenau in unsere Andrea-Bocelli-verseuchten Charts gepaßt, fand jedoch anscheinend bislang nicht seinen Weg auf Tonträger. Danke, NDR!
Der ekligste Moment in dem Film war jedoch, als Anna Maria Kaufmann auf der Bühne von Bill Ramseys verräuchertem Jazzkeller stand und „Summertime“zum besten gab. Dieser Gershwin-Klassiker hat ja nun so einige Anschläge auf sein Leben überstanden, aber dieser Belcanto-Overkill war für ihn ähnlich tödlich wie der Abwurf einer Wasserstoffbombe auf eine Ameise.
Und Krug stand anerkennend daneben und sagte sowas wie: „Die Kleine ist richtig gut.“Wobei ich sofort zu rätseln anfing, ob es irgendeine Spezies von Jazz-Fan gibt, die das tatsächlich fände.
Aber mit dem Begriff Jazz ist es eben noch extremer als mit dem Wort Rock: Man kann alles Jazz nennen. Und für alles gibt es hingebungsvolle Fans. Wobei Bebop und alles, was dann kam, zu seiner Zeit kaum auf Interesse stieß. Jene Eltern- und Großeltern-Generation, die sich nach dem Krieg für amerikanische Musik begeisterte, kam nie über Louis Armstrong und Glenn Miller hinaus. Und deswegen sollte man auch nichts erwarten, wenn mal wieder irgendwo eine große Jazz-Plattensammlung verkauft wird.
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