: Necmettin Erbakan gibt nach
■ Der türkische Regierungschef beugt sich dem Nationalen Sicherheitsrat. Nur zugeben will der Islamist das nicht
Istanbul (taz) – Necmettin Erbakan ist eingeknickt: Unter dem anhaltenden Druck der Militärs und seines konservativen Koalitionspartners hat der türkische Ministerpräsident das vom Nationalen Sicherheitsrat vorgelegte antiislamistische Memorandum unterzeichnet. In dem Papier, das die Militärs den zivilen Mitgliedern des Sicherheitsrates oktroyierten, werden scharfe Maßnahmen gegen theokratische Bestrebungen gefordert – unvereinbahr mit dem Programm von Erbakans Wohlfahrtspartei.
„Das Problem mit der Unterschrift ist gelöst“, erklärte gestern General Ilhan Kilic nach einem Gespräch mit Erbakan. Auch der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel bestätigte das Einlenken des islamistischen Regierungschefs: „Es gibt keine krise. Der Ministerpräsident hat die Beschlüsse unterzeichnet. Es gibt kein Problem.“
Erbakan selbst, der durch seine Unterschrift in Konflikt mit seiner eigenen Basis gerät, wich gestern Fragen aus. Beschlüsse des Nationalen Sicherheitsrates seien „Geheimsache“. Geheim sei deshalb auch, „ob und mit welcher Tinte ich unterschrieben habe“.
Doch trotz dieser Geheimniskrämerei gilt es als ausgemacht, daß Erbakan, der über mehrere Tage hinweg den Schein demokratischen Widerstands gegen den Nationalen Sicherheitsrat geweckt hatte, dem Drängen von Außenministerin Tansu Çiller nachgegeben und kapituliert hat. Die Weigerung Erbakans hätte das Ende der Koalition der Islamisten mit Çillers konservativer Partei des Rechten Weges besiegelt. Mehrere Abgeordnete, ja, selbst Minister dieser Partei, hatten mit dem Bruch der Koalition gedroht, falls Erbakan nicht nachgebe. Anstatt die Konfrontation mit dem Sicherheitsrat zu wagen, hatte der Regierungschef in klammheimlicher Diplomatie mit den Militärs versucht, den Forderungskatalog zu entschärfen und dabei Stillschweigen über den Inhalt gewahrt.
Der Sicherheitsrat, in dem die Militärs den Ton angeben, ist zwar als beratendes Organ in der Verfassung verankert, verfügt jedoch über keine demokratische Legitimation. Der von dem Gremium verabschiedete Maßnahmenkatalog zum Schutz des säkularen Systems, der seit Tagen in der türkischen Presse publiziert wird, ist ein Schlag gegen die Wohlfahrtspartei. Die Erhöhung der Grundschulpflicht von fünf auf acht Jahre ist gleichbedeutend mit der Schließung zahlreicher staatlicher, religiöser Schulen, die die Schüler nach Abschluß der Grundschule aufnahmen. Auch die Korankunde soll eingedämmt werden. Selbst „Revolutionsgesetze“ aus den Gründerjahren der Republik, die religöse Trachten verbieten, sollen wieder zur Anwendung kommen. Ein längst abgeschafftes Gesetz, das die Forderung nach einem theokratischem Regime mit hohen Haftstrafen ahndet, soll reaktiviert werden.
„Wollen sie die Wiedereinführung eines totalitären Regimes?“ fragte gestern die islamistische Zeitung Yeni Safak (Neue Morgenröte). Skurril ist, daß ausgerechnet der islamistische Poltiker Erbakan die „Empfehlungen“ des Nationalen Sicherheitsrats umsetzen soll. Parteianhänger wittern bereits Verrat. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß Erbakan darauf spekuliert, die Umsetzung des Maßnahmenkataloges zu verschleppen. Ein Weg, der ein erneutes Eingreifen des Militärs provozieren könnte.
Trotz der aktuellen Beilegung des Konflikts und der Bekräftigung Çillers, die Koalition fortzusetzen, zeigen sich Risse in der Partei des Rechten Weges. Erbakan könne trotz Unterschrift die Beschlüsse nicht umsetzen, fürchten einige ihrer Politiker. Deshalb sei es an der Zeit, die Koalition aufzukündigen, um größeren Schaden abzuwehren. Ömer Erzeren
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