: Globale Regionalisierung
Matthias Schillo, Vizevorsitzender der Hanfgesellschaft und Vorstand der Treuhanf AG, will eine regionale Hanfwirtschaft entwickeln ■ Von Tobias Rapp
Dieser Mann weiß, was er will. Matthias Schillo, Vizevorsitzender der Hanfgesellschaft, Vorstand der Treuhanf AG und Hansdampf in allen Berlin-Brandenburger Hanfgassen, nimmt drei Stufen auf einmal, um in sein Büro zu kommen. Im 5. Stock eines Spandauer Industriekomplexes gelegen, ist das eine ganz schöne Strecke. Oben angekommen, gilt es noch eine Lagerhalle zu durchqueren, dann steht man im 20-Quadratmeter- Domizil der Treuhanf. Mit Blick auf die riesige Müllverbrennungsanlage vor der Tür sagt Matthias Schillo: „Da haben wir das, was wir überflüssig machen wollen.“
Matthias Schillo hat eine Vision und arbeitet zielstrebig an ihrer Verwirklichung. Die meisten Politiker hätten noch immer nicht begriffen, was Globalisierung wirklich bedeute, nämlich die Abkoppelung weiter Gebiete vom Weltmarkt. Und sei der Weltmarkt weg, komme er auch nicht wieder, erläutert er. Natürlich könne man Unternehmen mit Subventionen locken, aber grundsätzlich könne man abgewanderte Industrien nicht zurückholen. Das brauche man allerdings auch überhaupt nicht, versichert der Hanfaktivist.
Schillos Vorstellung für die Zukunft nennt er „regionale Stoff- und Wertkreisläufe“. Firmen, die sowohl ausschließlich für eine bestimmte Region produzieren, als auch ihre Zulieferer ausschließlich in dieser Region haben. Nur so könne einem Gesellschaftssystem begegnet werden, in dem nur noch ein Drittel der Bevölkerung arbeite, ein weiteres Drittel scheinbeschäftigt und das letzte Drittel arbeitslos sei. „Es ist möglich, daß jeder nur noch drei Stunden pro Tag arbeiten gehen muß“, umreißt er das Fernziel, während ihm Rosa Luxemburg von der Bürowand über die Schulter guckt.
Um diesen Zielen eine Perspektive zu geben, brauchte es Geld. So wurde im Oktober 1994 die Treuhanf Investitions GmbH & Co. KG begründet. Das Kapital von 600.000 Mark, aufgebracht von mehreren Gesellschaftern, wurde bald auf eine Million aufgestockt. Die Rechtsform hatte vor allem steuerliche Gründe, konnten doch Verluste so von der Steuer abgesetzt werden. Seit dem 31. Januar ist die Treuhanf eine Aktiengesellschaft, was den Vorteil hat, daß niemand, der Geld investieren möchte, extra Genossenschafter werden muß. Es reicht, eine Aktie zu kaufen.
Doch Geld alleine reicht nicht aus, auch intensive Lobbyarbeit ist gefragt. Dazu gibt es die Hanfgesellschaft, mit Schillo als stellvertretendem Vorsitzenden. Sie organisierte die Messe „Ernte 96“ im vergangenen Herbst und die Aktivitäten auf der diesjährigen Grünen Woche. Demnächst steht eine Regionalisierung der Gesellschaft an, da sich die Hanfer erhoffen, so den Einfluß durch Lobbying bei den Landesregierungen erhöhen zu können.
Mit den finanziellen Mitteln der Treuhanf wird im April die Hanffabrik Zehdenick in Betrieb genommen. Dort sollen Wirrfaservliese hergestellt werden, ein Dämmstoff für den Bau. Mittelfristig, so ist Schillo überzeugt, könne Polystyren, auch als Styropor bekannt, durch Hanfprodukte von den Baustellen verdrängt werden. Genau wie andere Produkte auch. Für Schillo ist längerfristig ein Haus denkbar, das seine Teile ausschließlich aus dem regionalen Stoff- und Wirtschaftskreislauf bezieht. Mit einem Gerüst aus brandenburgischen Hölzern, Leichtlehmplatten als Mauern und Wände und einem Dach aus Dämmatten auf Hanfgrundlage. Die Energie würde es aus Thermokollektoren, die auf dem Dach istalliert sind, beziehen.
Doch auch Energieprojekte sind in Planung. Mit Biogasanlagen auf Hanfbasis ließe sich eine dezentrale, regionale Energieversorgung etablieren, die ebenso umweltfreundlich, aber wesentlich billiger als Wind- und Solarenergie wäre. Die Hanffaserreste, die bei einer solchen Biogasanlage übrigblieben, könne man dann zu Papier verarbeiten. Bei allem Regionalismus ist Schillo trotzdem an der Verbreitung seiner Idee gelegen, nur will er eben keine zentralen Strukturen aufbauen. Ihm ist es lieber, wenn jeder Landstrich seine eigenen Strukturen aufbaut. So engagiert sich Treuhanf auch in Sachsen-Anhalt, wo sie Teil der Expo 2000 ist.
Doch eins ist Matthias Schillo vollkommen klar: Die Hanfwirtschaft wird mit extremen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. „Es geht darum, der Volkswirtschaft einen neuen Rohstoff hereinzudrücken, ohne daß ein sichtbarer Bedarf besteht.“ Doch er ist optimistisch. Mit einem Kostenanteil von unter zehn Prozent habe die Treuhanf bei ihren Anlegern einen dicken Vertrauensbonus gewonnen.
Und noch etwas ist Schillo wichtig: Hanf ist nur ein Beispiel. Jenseits des Kults, der um die Pflanze gemacht werde, sei Hanf ein Beispiel, wie ein nachwachsender Rohstoff mit unzähligen Anwendungsmöglichkeiten in regionale Wirtschaftsabläufe eingetaktet werden könne. „Wenn es mit Hanf funktioniert, dann auch mit anderen nachwachsenden Rohstoffen“, ist Schillo überzeugt.
Die richtige Herangehensweise sei wichtig. Das berühmte Rapsbenzin sei ein Beispiel, wie man es nicht machen solle. Zur Herstellung von 1,7 Einheiten Rapsmetylester ist eine Einheit Erdöl notwendig.
Ein Bericht über die Hanffabrik in Zehdenick steht auf Seite 38.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen