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Abgemilderte Visumpflicht ist durch

■ Bundesrat verabschiedet neue Visumregelung für Kinder aus ehemaligen Anwerberstaaten. Wer im Ausland lebt, braucht künftig Einreisegenehmigung. Problematisch wird es für Tausende von "Illegalen"

Berlin/Bonn (taz) – Nach dem Bundestag hat nun auch der Bundesrat die neue Visumpflicht für Kinder aus den ehemaligen Anwerberstaaten abgesegnet. Kinder unter 16 Jahren aus den ehemaligen Anwerberstaaten Türkei, Tunesien, Marokko, Mazedonien, Kroatien, Slowenien, Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina, die erstmals in die Bundesrepublik zu ihren Eltern reisen, brauchen demnach künftig ein Visum.

Die gestern mehrheitlich verabschiedete Verordnung, die jetzt noch einmal das Kabinett passieren muß, wurde allerdings durch Intervention der SPD-regierten Länder gegenüber der ursprünglichen Kanther-Fassung abgemildert. Noch in der Nacht zuvor hatten die sozialdemokratisch beziehungsweise rot-grün regierten Länder über die Verordnung gestritten. Schleswig-Holstein (rot- grün) lehnte auch die gemäßigte Verordnung ab, Niedersachsen und Hamburg plädierten dafür.

Die Mehrzahl der rund 600.000 Kinder aus den ehemaligen Anwerberstaaten, die rechtmäßig in der Bundesrepublik leben oder nur kurzfristig ausgereist sind, erhalten demnach von Amts wegen künftig eine Aufenthaltsgenehmigung. Diese soll ihnen von den zuständigen Ausländerbehörden bis zum 30. Juni 1998 möglichst unbürokratisch erteilt werden. Gegenüber der im Januar erlassenen Kanther-Eilverordnung wurde die Frist somit um ein halbes Jahr verlängert – ein Passus, für den sich insbesondere der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) stark gemacht hatte. Vorraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung ist, daß mindestens ein Elternteil in der Bundesrepublik lebt. Wer seinen Aufenthalt noch nicht gemeldet hat, kann dies bis zum 30. Juni 1998 nachholen.

Problematisch wird es hingegen für jene Gruppe von Kindern, die in der Bundesrepublik entweder bei ihren Eltern leben oder aber unrechtmäßig eingereist sind. Die Zahl dieser „Illegalen“ dürfte in die Tausende gehen – allein in Hamburg könnten nach Schätzung der Ausländerbehörde rund 3.000 Kinder betroffen sein. In diesen Fällen – etwa Kinder, die bei ihren Verwandten oder Freunden leben – soll künftig im Einzelfall entschieden werden, ob ein „außergewöhnlicher Härtefall“ vorliegt. In der Praxis wird allerdings die Härtefallklausel von den Ausländerbehörden äußerst restriktiv angewandt, hieß es gestern aus Anwaltskreisen. Möglicherweise müssen künftig jene Kinder mit Ausweisung rechnen, von denen mindestens ein Elternteil im Ausland für ihren Lebensunterhalt aufkommen kann, sofern dies von den deutschen Behörden nachgewiesen wird.

Zugleich wurde gestern im Bundesrat auf Antrag von Niedersachsen und Hamburg eine Empfehlung an die Bundesregierung verabschiedet, mit der die Visumpflicht für Kinder aus den ehemaligen Anwerberstaaten nicht unnötig erschwert werden soll. Bislang gilt nämlich nach dem Ausländergesetz: Kinder von Eltern, die in der Bundesrepublik über keinen Wohnraum oder unzureichendes Einkommen verfügen, würde das Visum nicht erteilt werden. Nach dem gestern verabschiedeten Entschließungsantrag soll das Bundesinnenministerium das Ausländergesetz dahingehend ergänzen, daß jenen Kindern die soziale Lage ihrer Eltern bei der Visumerteilung nicht zum Verhängnis wird und damit Besuche künftig unmöglich gemacht werden.

Verabschiedet wurde auch ein Antrag des Saarlandes, der die Bundesregierung auffordert, das Staatsbürgerschaftsrecht für hier lebende oder hier geborene Ausländerkinder noch bis Ende 1998 zu ändern. Obwohl Teil der Koalitionsvereinbarung, wird dies bislang von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) strikt abgelehnt. Auf Druck junger CDU- Abgeordneter und der FDP war der Appell nach einer Einbürgerung von Ausländerkindern bereits am Donnerstag in den Koalitionsantrag zur Visumpflicht aufgenommen worden – sehr zum Ärger von Kanther. Severin Weiland

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