: Das echte "echte Leben"
■ Trendscouts, bitte melden! Ende dieser Woche startet "motion" einen neuen Angriff auf die ehemalige Leserschaft von "Tempo", "Flyer" und "Fit for Fun"
Augsburg ist eine jener typischen süddeutschen Städte, deren herausgeputzte Altstadtgebiete aussehen, als wären sie für einen Themenpark – Marke europäisches Mittelalter – nachgebaut worden.
Was die Touristen erfreut, ist den Einheimischen Kulisse für die Raffinessen des Konsums. Nicht von ungefähr ist Augsburg eine jener Zonen, die den Marketingabteilungen als ideale Orte für die Erprobung neuer Produkte gelten. Zum Beispiel für die Zigarette, die zwar irgendwie brennt, aber nicht qualmt („HI.Q.“).
Ähnlich verhält es sich mit popkulturellen Erscheinungen. Sind die erst einmal von findigen bayerischen Trendscouts aus den Metropolen der Welt importiert worden, ist der Durchbruch des jeweiligen Trends in die Massenmärkte nur noch eine Frage von Stunden: Bayerns Augsburg ist das Taiwan Mitteleuropas, wenn es um die lebensechte Reproduktion von Lifestyle geht.
Als im Sommer letzten Jahres die Pilotausgabe von motion in den Kiosken und Tankstellen des Augsburger Großraums lag, ließ sich die Herkunft der Idee erahnen: Das Layout und die Themenauswahl erinnerten an jetzt, das erfolgreiche Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung. Was dort jeden Montag als dünnes Supplement erscheint, wurde für motion auf über 200 Seiten aufgepumpt und bestand den Markttest auch in Hessen.
Verantwortlich für motion zeichnet der Augsburger „vmm Verlag“ aus der Vogel-Medien- Gruppe, der bis dato vor allem Computermagazine herausgegeben hat. Um das Retortenbaby mit Leben zu füllen, machte sich der Verlag auf die Suche nach kompetenten Mitarbeitern. So holte man für den Posten des Chefredakteurs mit Helge Birkelbach den Gründer des kostenlosen Berliner Party-Kalenders Flyer nach Bayern. Der hatte als Herausgeber des Westberliner Hype schon vor etlichen Jahren die Anfänge von Techno publizistisch begleitet. Die inzwischen herangewachsene „Technogeneration“ der immerhin 5,48 Mio. 18- bis 24jährigen ist dann auch die erklärte Zielgruppe des „Real Life Magazines“.
Weil mit Tempo und Wiener inzwischen alle Lifestylemagazine der 80er in Frieden ruhen, definiert sich motion (Auflage 300.000) kurzerhand als „Trendmagazin“, das die GenerationX zum „trostlosen“ Haufen erklärt, der sich selbst „ins Aus schießt“. Was die motion-Macher aber nicht daran hindert, deren Slogans auszuplündern: „Voll das Leben“ heißt es in bester Slackermanier in der Mappe, die seit Monaten den Werbeagenturen zwecks Anzeigenakquise vorliegt. Wenn man den motion-Strategen glauben darf, verlangt es der Zielgruppe, die mit „Techno, Genmanipulation, Extremsport und Ozonloch“ aufgewachsen ist, vor allem nach Authentischem. Nur das Leben mit der richtigen Ware ist das wahre: So tauchen in motion Versace-Bücher neben einem Kochkurs mit DJ-Altmeister Carl Cox auf, und Comics kontrastieren mit den „sechs dümmsten Bedienungsanleitungen“. Als Navigationsinstrumente fungieren die Rubriken Sound, Style, Sports, Mixed Media und die Real Life Reports, um alle Sektoren modernen Lebens gebührend abzudecken.
Der spätkapitalistischen Shopping-Species wird inzwischen also einiges an Schizophrenie abverlangt, um vorkonfigurierten Konsum durch die Hintertür wieder zum authentischen Erlebnis werden zu lassen. Warum sonst wohl sollte man sich 1997 über einen motion-Besuch im OBI-Heimwerkermarkt amüsieren?
Daß die neuen Kids unter diesen Umständen ein merkwürdiges Verhältnis zu allem haben, was man hinter aller postmodernen Ironie als – zugegeben – fragwürdige persönliche Realität bezeichnen könnte, ist seit der letzten Love Parade kaum mehr zu ignorieren. Die jungen Menschen, die dort gerade eben noch uninspiriert durch die Gegend trotteten, schalteten beim Anblick einer TV-Kamera unversehens in Ekstasemodus um.
Trotzdem scheint motions Glaube an den unverfälschten Blick auf den Alltag und der Wille zum echten „echten Leben“ ungebrochen: Unter Birkelbachs Ägide soll der Reportage wieder zu ihrem Recht verholfen werden. Die beschäftigt sich in der ersten Ausgabe mit außergewöhnlichen Momenten im Leben jedes Heranwachsenden, zum Beispiel dem Auszug von zu Hause. Daß sich motions Real-Life-Universum auch auf so unglamouröse gesellschaftliche Fakten wie den Alltag eines illegalen Immigranten erstreckt, ist unter den gegebenen Umständen schon wieder verblüffend.
Ist das jetzt der ultimative Trick, um rebellische, politisch korrekte Jugendkultur ein letztes Mal zu simulieren, oder doch ein ernst gemeintes Punksample? Richtet sich Techno doch gegen den Kanther-Staat? Sicher ist nach Stand der Dinge nur eins: Im Kampf der Supermodels gegen lebensechte Mikrokosmen entscheidet sich, wie man Lifestyle in den Neunzigern buchstabiert haben wird: Am Kiosk liegt motion für fünf Mark im Monat gleich neben Max.Ulrich Gutmair
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen