Schering will Leben patentieren

■ Menschliches Erbgut würde damit zum Privatbesitz des Pharmakonzerns. Kritiker: Gene gehören der Menschheit

Der Pharmakonzern Schering strebt an, Patente auf menschliches Erbgut beim Europäischen Patentamt in München anzumelden. Damit sollen Gene rechtlich geschützt werden, die Krebs hervorrufen. Diese Erbinformationen, die im Körper jedes Menschen vorhanden sein können, würden damit zum Privatbesitz des Konzerns. „Es wäre schön, wenn die Anmeldung von Patenten gelänge“, sagte Schering-Vorstand Günter Stock gestern am Rande der Bilanz-Pressekonferenz des Unternehmens.

Gentech-Kritiker protestieren jedoch gegen die „Privatisierung“ von Erbmaterial. Die rechtliche Lage ist weitgehend ungeklärt. Das hierfür zuständige Europaparlament diskutiert erst im Juli über eine entsprechende Richtlinie.

Um einen Teil der rund 100.000 menschlichen Gene zu erforschen und später wirtschaftlich zu nutzen, wird Schering im Sommer das neue Institut „metaGen“ in Dahlem eröffnen. Die ForscherInnen sollen unter anderem herausbekommen, welche Erbinformationen Prostata- und Brustkrebs auslösen. Dann will man Medikamente entwickeln, die die betreffenden Gene ausschalten und so den Krebs bekämpfen.

Die Patentierung der Erbinformationen, ihrer krebsfördernden Funktion und der Arzneimittel garantiert, daß vor allem Schering den Gewinn seiner Forschungen kassiert. Alle anderen Unternehmen, die Medikamente gegen das Krebsgen verkaufen wollen, müßten sich das von dem Berliner Konzern genehmigen lassen. Außerdem würden sie verpflichtet, hohe Lizenzgebühren zu zahlen, was Scherings Kassen füllen würde.

„Menschliche Gene dürfen nicht patentiert werden“, erklärt dagegen Ruth Tippe vom Netzwerk „Kein Patent auf Leben“ in München. Erbmaterial sei schließlich keine „Erfindung, sondern nur eine Entdeckung“. Ein Beispiel: Wilhelm Conrad Röntgen hätte nicht die von ihm entdeckten natürlichen Strahlen, sondern allenfalls den Röntgenapparat – eine Erfindung also – schützen lassen können. Ruth Tippe argumentiert weiter, daß die patentierten Gene noch viele andere Funktionen hätten, deren Erforschung durch den Privatbesitz aber verhindert werde. „Die Gene gehören der ganzen Menschheit“ lautet das Credo der Patent-KritikerInnen.

Anfang Juli steht die „Richtlinie zum Schutz biotechnologischer Erfindungen“ im Europäischen Parlament zur Diskussion. Die Kommission schlägt in ihrem Entwurf vor, Patente auf Gene zuzulassen. Viele Abgeordnete, darunter Grüne und SozialistInnen, sprechen sich jedoch dagegen aus. Wann die Richtlinie verabschiedet wird, ist offen. Währenddessen schaffen Schering und andere Pharmafirmen bereits Fakten. Einige hundert Genabschnitte und damit verbundene technische Nutzungen hat das Europäische Patentamt bislang geschützt.

Im vergangenen Jahr verbuchte Schering außerordentliche Gewinne: Das Ergebnis stieg um 46 Prozent auf 362 Millionen Mark. Der Profit wurde mit Verhütungspillen, Hormonpräparaten und dem Multiple-Sklerose-Medikament Betaferon vor allem im Ausland realisiert. Hannes Koch